Manche Kunden kennt man als Apotheker besser als seine Nachbarn. Eine Kollegin nennt sie Herzenskunden. Sie kommen regelmäßig zu uns und holen sich nicht nur ihre Medikamente, sondern erzählen uns auch aus ihrem Leben. Wenn sie sterben, ist das hart.
Man sollte meinen, dass man sich gerade im beruflichen Umfeld einer Apotheke daran gewöhnt, dass die Kunden irgendwann sterben. Das tut man auch in gewissem Maße, und die Zeit sowie die eigene Reife bringt es auch mit sich, dass man lernt „ordentlich“ zu kondolieren und sich nicht irgendwo zu verstecken, wenn die Angehörigen mit den nicht mehr benötigten Altarzneimitteln herein kommen.
Manche Kunden sind ein bisschen wie Nachbarn
Als Apothekenmitarbeiter lernt man (zumindest in einer Vorstadt so wie hier) seine kranken Kunden sehr gut kennen. Viele besuchen uns schon mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte, und es sind schon beinahe gute Bekannte geworden. Manche Chroniker kommen auch mehrmals die Woche herein, scherzen mit uns, erzählen über den nächsten Urlaub oder über tägliche Freuden oder Sorgen, und so wissen wir nach all der Zeit oft mehr über sie als über die eigenen Nachbarn.
Stirbt ein solcher Kunde, sind wir alle betroffen. Wir denken an den Ehepartner, die Kinder oder Freunde, und erinnern uns an Gespräche mit den Verstorbenen. „Weißt Du noch, als Herr Müller vor zwei Jahren …“ tauschen wir dann untereinander noch kleine Anekdoten aus und erinnern uns. Es ist so, als ob die Zeit einen kleinen Moment anhält, und vor unserem inneren Auge noch einmal ein kurzer Film abgespielt wird. Wie Herr Müller immer hereinkam und uns freundlich angelacht hat. Dass er nie ging, ohne sich bei uns für den guten Service oder die Geduld, oder die Umschau zu bedanken. Wir denken darüber nach, wann er das letzte Mal da war und fragen uns, ob er denn wirklich SO schlecht ausgesehen hatte.
Zwischen Erleichterung und Schock
Der Tod erscheint in manchen Fällen auch wie eine Erlösung, wenn unser Kunde sehr gelitten hat. Dann sind wir irgendwie erleichtert darüber, dass die Quälerei ein Ende gefunden hat. Manches Mal trifft er aber auch völlig unerwartet ein und hinterlässt uns sprachlos. So ging es mir öfter als mir lieb war. Vor allem, als ich im Laufe meiner Berufszeit in einer Apotheke einige Jahre besonders viel mit Suchtkranken zu tun hatte, die häufig in prekären Verhältnissen leben.
Oder als Frau Meier starb. Das war auch schlimm für mich – zu hören, dass sie nicht mehr kommen wird. Ich hatte sie über 10 Jahre lang zwei mal in der Woche gesehen. Sie war nur ein paar Jahre älter als ich. Drei kleine Kinder hat sie hinterlassen, das lässt einen nicht kalt.
Aber auch Herr Müller jetzt. Es war einfach ein Moment des Erschreckens, als ich die Tageszeitung öffnete und plötzlich eine Todesanzeige vor mir sah, mit der ich nicht gerechnet hatte. Einer von den Guten – er wird uns fehlen!
Abschied von Herzenskunden
Also ich kann für mich sagen, dass ich mich wohl niemals daran gewöhnen werde, wenn jemand stirbt, den ich kannte und mochte. Auch wenn es „nur“ ein Kunde war. Eine PTA nannte solche Kunden Herzenskunden, und das trifft es doch sehr gut. Machen Sie es gut, Herr Müller. Und danke für Ihre Freundlichkeit und Herzenswärme. Wir werden uns immer gerne an Sie erinnern, hier in der Vorstadtapotheke.