Alkohol hat in einer Heilanstalt nichts verloren. Oder doch? Will man einem Alkoholiker sein abendliches Bier verbieten?
„Prost, Herr Doktor!‟, sagt Herr Wiesmüller fröhlich und nimmt einen tiefen Schluck aus seiner Bierflasche.
„Zum Wohl, auf Ihre Gesundheit!‟, gibt Kalle zurück.
Herr Wiesmüller strahlt und winkt uns zu.
„Sag mal, darf der das?‟, fragt Sarah, als wir das Zimmer wieder verlassen haben.
„Warum nicht?‟, fragt Kalle.
„Alkohol im Krankenhaus, verträgt sich das?‟
„Er scheint’s offenbar zu vertragen!‟
Herr Wiesmüller ist ein eingefleischter Junggeselle von Mitte Sechzig, der gerne jeden Abend sein Fläschchen Bier trinkt. Oder auch zwei. Und ab und zu auch eins zu Mittag. Seit Jahrzehnten.
„Der Typ ist doch Alkoholiker!‟, sagt Sarah.
„Mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit.‟
Man will doch auch Spaß haben im Leben
Zugegeben hat er das nicht. Die wenigsten Alkoholiker geben das zu. Die meisten bagatellisieren es oder streiten es ab. Herr Wiesmüller streitet gar nichts ab, jedenfalls nicht die Tatsache, dass er täglich seine zwei bis drei Fläschchen Bier trinkt. Natürlich geht’s auch ohne, sagt er. Hat er auch schon probiert.
„Aber wozu?‟, fragt er, „Man will doch auch Spaß haben im Leben, oder nicht, Herr Doktor?‟
Und weil Kalle kein Spaßverderber ist, hat er ihm erlaubt, dass der Herbert – das ist ein etwas rauhbeiniger und nicht ganz gut riechender Freund oder Bekannter von Herrn Wiesmüller – jeden Abend mit einer Plastiktüte vorbeikommt, neue Flaschen bringt und das Leergut abholt.
„So geht das aber nicht!‟, sagt Schwester Paula.
„Warum nicht?‟, fragt Sarah.
„Wir sind schließlich eine Heilanstalt!‟
Ein Trinker geht seinen Weg
Ende der Diskussion. Kalle hat ab heute Urlaub und kann nicht widersprechen, also kriegt der Herbert Hausverbot.
Als wir zur Visite kommen, ist Herr Wiesmüller nicht da.
„Wo steckt er denn?‟, fragt Sarah.
„Der ist kurz spazieren gegangen!‟, sagt sein Bettnachbar.
Wir brauchen nicht lange, um herauszufinden, dass das Ziel des Spaziergangs die Tankstelle um die Ecke ist, nachdem Schwester Paula dafür gesorgt hat, dass der Kiosk in der Eingangshalle Herrn Wiesmüller keinen Alkohol verkaufen darf.
Beim Abendessen prostet er uns jedenfalls wieder wie gewohnt zu.
Martin nimmt ihm die Flasche weg.
„Wenn Sie das noch einmal machen, dann fliegen Sie hochkant raus!‟, sagt er.
Herr Wiesmüller schaut ganz bedröppelt drein, aber er fügt sich.
Wo ist Herr Wiesmüller?
Am Montag Morgen ist sein Bett leer.
„Was ist denn aus ihm geworden?‟, fragt Sarah.
„Der liegt jetzt auf der Intensivstation!‟, berichtet Schwester Paula, „muss wohl letzte Nacht ins Entzugsdelir gerutscht sein.‟