Nein, wir Ärzte sind nicht bestechlich. Weder mit Geld, noch mit Champagner. Auch wenn es Angehörige gibt, die es immer wieder mal versuchen.
„Hallo, Herr Doktor!“
Keine Chance, zu entrinnen!
Frau Dombüchler Junior hat sich in der Mitte des Flurs aufgebaut, strategisch optimal, genau auf halbem Weg zwischen den Türen von Arztzimmer und Stationsküche.
„Hallo, Herr Doktor, eine Sekunde nur!“
Nein, bei einer Sekunde wird es nicht bleiben, wenn ich darauf eingehe. Vorsichtig geschätzt wird sie mich voraussichtlich mindestens zehn Minuten lang aufhalten. Vielleicht auch zwanzig. Und auch dann muss ich sehr diszipliniert daran denken, mich rechtzeitig loszueisen. Sarah war auch schon einmal eine halbe Stunde in ihren Fängen, bis ich sie mit einem Anruf bezüglich eines fingierten Notfalles erlöst habe.
„Herr Doktor, es dauert wirklich nicht lange!“
Kein Entrinnen für mich
Na gut. Es hilft nichts.
Wenn ich heute noch meine Krankenhauskaffeeplörre haben will, muss ich an ihr vorbei. „Frau Dombüchler! Wie kann ich Ihnen helfen?“
Frau Dombüchler grinst ein Kreisgrinsen. Ihr Kreisgrinsen reicht von einem Ohr bis zum übernächsten und ist höchstgefährlich für den Angegrinsten. Denn ein Kreisgrinsen ist kein Lächeln. Es hat etwas Forderndes. Wer kreisgrinst, will etwas von seinem Gegenüber. Also bin ich auf der Hut. Aber das bin ich sowieso, denn immerhin habe ich ja Frau Dombüchler Junior vor mir.
„Ich nehme an, es geht um Ihre Mutter?“
Frau Dombüchler Senior ist eine nette Dame, so Ende Achtzig, ein bisschen dement, ein bisschen wackelig auf den Beinen, aber rein medizinisch gesehen ganz gut beieinander für ihr Alter. Morgen würden wir sie gerne entlassen. Spätestens übermorgen. Das heißt, spätestens dann, wenn wir wissen, wohin sie gehen kann, und genau da liegt der Hase im Pfeffer: weil nämlich Frau Dombüchler Junior der Schlüssel zu diesem Problem ist.
Wohin mit der Mutter?
So eloquent sie auch reden kann, so schweigsam ist sie, wenn es um die Beantwortung genau dieser konkreten Frage geht. Tatsache ist: Frau Dombüchler Senior ist zu schwach für ihre Wohnung im vierten Stock, ohne Treppe und bräuchte mehr Unterstützung, aber Frau Dombüchler Junior ist zu beschäftigt, um sich darum zu kümmern.
„Gut, dass ich Sie treffe, Frau Dombüchler. Wie geht’s denn weiter mit Ihrer Mutter? Haben Sie sich schon Gedanken gemacht?“
Frau Dombüchler Junior antwortet nicht. Sie kreisgrinst immer noch.
„Trinken Sie Champagner, Herr Doktor?“
Was ist los?
Sie langt in ihre voluminöse Handtasche und zieht eine Flasche hervor.
„Ich hätte Ihnen da etwas mitgebracht!“
Wie bitte?
„Und wenn Sie sonst noch etwas brauchen, dann sagen Sie mir doch einfach Bescheid!“
Sonst noch was? Brauchen? Vielleicht ein Paar Perlenohrringe für Sarah und ein kleines Diamantencollier für Jenny? Und für mich selbst noch einen schnittigen Kleinwagen, also so richtig schnittig mit mindestens 500 PS ...?
Heimplatz ist ja jetzt nicht mehr nötig
„Es tut mir leid, das kann ich nicht annehmen!“
„Können Sie doch! Weil Sie sich immer so nett um meine Mutter gekümmert haben!“
„Ach, ich habe doch nur meine Pflicht getan!“
„Nein, nein, Sie haben viel mehr getan, Herr Doktor! Ich meine, weil Mutter jetzt ja doch nicht ins Heim muss ...“
Die Dame von unserem Sozialdienst hat einen Kurzzeitpflegeplatz organisiert. Das war schwer genug, aber jetzt sind wir froh, dass Frau Dombüchler Senior allerspätestens Anfang nächster Woche dorthin gehen kann.
„Den Platz habe ich gerade abgesagt!“, kreisgrinst die Tochter. „Ist doch viel zu teuer!“
Klar: Ein Kurzzeitpflegeplatz kostet eine Menge Geld. Das muss vom Patienten oder den Angehörigen aufgebracht werden.
„Meine Mutter kann doch noch etwas bleiben?“
„Sie wollen sagen, dass Sie Ihre Mutter zu sich nach Hause nehmen?“
Frau Dombüchler Junior schüttelt den Kopf. „Geht nicht. Hab doch keine Zeit!“
Das war klar. Und jetzt?
„Ich dachte mir, sie kann noch ein oder zwei Wochen bei euch bleiben, und dann ...!“
Daher also weht der Wind! Ich trete einen Schritt zurück.
„Ihre Mutter verlässt morgen dieses Haus!“, sage ich und das Kreisgrinsen hört schlagartig auf.
„Wenn nicht morgen, dann Übermorgen oder allerspätestens Anfang nächster Woche!“
Eine Kinnlade fällt herunter.
„Wir haben unser Möglichstes getan. Der Rest ist Ihre Verantwortung!“
Frau Dombüchler Junior dreht sich um und stöckelt ohne ein Wort des Abschiedes in Richtung Treppenhaus.
Und wo ist jetzt mein Schampus geblieben?