Es ist heiß. Alle benehmen sich etwas seltsam. Die Zündschnuren sind mal wieder extrem kurz. Und bei den Temperaturen brennt die Lunte echt schnell. Der Fahrer des BMW heute morgen zum Beispiel. Mittelfinger, Hupkonzert, laute Schimpftirade. Obwohl ich von rechts komme und Vorfahrt habe. Hätte ihn wohl trotzdem vorbei fahren lassen sollen.
Oder Schwester Brigitte. Die ich am Haupteingang treffe, als sie einem erst kürzlich am Unterschenkel amputierten Patienten, die Kippe aus der Hand schlägt. Vergebliche Liebesmüh.
Meine Hände sind voll beladen, mir läuft der Schweiß den Rücken herunter, als ich auf dem Weg zu unserem Besprechungsraum auf Frau Ludwig treffe. Oh, nein. Frau Ludwig ist Dauergast. Wenn sie nicht auf unserer Station liegt, dann liegt sie auf der Station der Inneren Medizin oder in der Notaufnahme. Privatpatientin. Mit viel Rede- und Behandlungsbedarf. 1,50 m, 85 kg, Diabetes, Lymphödeme, offene Füße, schlecht heilende Wunden, schlechtes Herz, schlechte Nieren. Das ganze übliche Programm.
Eigentlich habe ich nicht mal Dienst ...
„Frau Doktor, gut, dass ich sie treffe. Ich warte schon so lange in der Notaufnahme auf jemanden. Heute geht es mir ganz besonders schlecht. Da ist wieder dieser Schwindel. Und das viele Wasser in den Beinen. Ich kann mich kaum bewegen. Und die Strümpfe. Diese Kompressionsstrümpfe. Das ist wirklich das Letzte. Das hält ja keiner aus bei diesem Wetter. Mein Rücken schmerzt, ich weiß gar nicht, wie ich mich bewegen soll. Mir läuft der Schweiß in Bächen den Rücken runter. Und schlafen, das kann ich schon gar nicht mehr. Ich weiß ja nicht einmal, wie ich mich am besten hinlegen soll. Auf der Seite halte ich es nur ganz kurz aus. Auf dem Rücken bekomme ich keine Luft und auf dem Bauch kann ich überhaupt nicht liegen. Und dann bin ich immer so unruhig. Komme gar nicht wirklich zur Ruhe. Dabei bin ich doch eigentlich sehr müde. Und dann muss ich auch so oft nachts aufstehen, um Wasser zu lassen. Wissen Sie? Das können Sie sich gar nicht vorstellen. Da muss man jetzt wirklich mal was machen.“
Hmm. Zündschnur. Ruhig Brauner.
Vielleicht hilft ja ein Eis
„Frau Ludwig. Nehmen Sie sich doch eines dieser köstlichen Eistüten aus meinen voll bepackten Armen. Vielleicht versüßt sie Ihnen das Warten auf den zuständigen Notaufnahmearzt. Wie Sie sehen können, bin ich in Zivil unterwegs. Heute bringe ich nur meinen Kollegen ein letztes Abschieds-Eis vorbei, bevor ich dann hoffentlich bald mein Baby bekomme. Leider kann ich Ihnen heute nicht weiter helfen.“
Sie schaut irritiert. „Ah. Ja. Natürlich. Vielen Dank. Das ist ja nett. Okay. Dann alles Gute Ihnen.“
„Danke“, ich lade nun etwas kurzatmig meine Kisten Eispackungen bei meinen hoch erfreuten Kollegen ab und verabschiede mich für eine Weile aus dem Krankenhausalltag. Bevor ich wieder in mein Auto steige, gehe ich noch auf die Toilette. Ich lasse mir kaltes Wasser über das Gesicht und die Arme laufen. Ich hoffe, das hebt meinen niedrigen Blutdruck. Ich richte meine Kompressionsstrümpfe unter dem weiten Rock und bewege mein Becken kreisförmig, damit sich für einige Sekunden die Schmerzen im Rücken bessern. Doch, ich kann mir aktuell sehr, sehr gut vorstellen, wie sich Frau Ludwig fühlt.