Abrechnungsbestimmungen des Krankenhausvergütungsrechts sind streng wortlautbezogen auszulegen. Wegen der alleinigen Maßgeblichkeit juristischer Auslegungsmethoden tritt die medizinische Beurteilung in den Hintergrund.
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat in seiner Entscheidung vom 22.03.2017 festgelegt, dass bei der Beurteilung von Krankenhaus-Abrechnungen kein Platz für medizinische Gutachten sei.
Damit legt das LSG fest, dass medizinische Leistungen vergütungstechnisch nicht-medizinischen Grundsätzen unterliegen. Ein eklatanter Widerspruch.
Zum Sachverhalt:
Stationäre Behandlung der Patientin im Jahre 2011. Die Behandlung erfolgte, nachdem zuvor eine Herzoperation stattgefunden hatte. Bei der Versicherten war ein Blutgerinnungsfaktor-VIII-Hemmkörper bekannt. Wegen zunehmender Akuität des Verlaufs war die Versicherte in das klagende Klinikum verlegt worden. Dort war eine immun-suppressive Therapie in Verbindung mit einer relativ hoch dosierten Faktor-VIII-Therapie begonnen worden.
Zusätzlich hatte man versucht, den vorhandenen Hemmkörper mittels Immunadsorption sowie Plasmapherese zu verringern. Letztlich war es gelungen, unter der Therapie einen Faktor-VIII-Anstieg auf zuletzt 100 % zu erreichen. Die Blutungen waren teilweise so stark gewesen, dass die Versicherte reanimationspflichtig geworden sei.
Dieser perakute Verlauf machte den Einsatz aller zur Verfügung stehenden Mittel zur Reduktion des Faktor-VIII-Hemmkörpers notwendig sowie den Anstieg von Faktor-VIII selbst (Immunsuppression mit Endoxan® und Rituximab®, Hochdosis-Faktor-VIII-Therapie, Entfernung des Hemmkörpers über Immunadsorption und Plasmapherese).
Das Krankenhaus rechnete Zusatzentgelte für die Gabe von Faktor VIII-Präparaten ab mit einem Streitwert von 690.153,76 €.
Klage des Krankenhauses stattgegeben
Die Behandlung, die das ZE 2011-27 auslöst, ist textlich beschrieben als „Behandlung von Blutern mit Blutgerinnungsfaktoren“. Der Kostenträger ging bei ihrer Zahlungsverweigerung davon aus, darunter seien im Prinzip nur angeborene Bluter zu verstehen, und für die Behandlung der Patienten, die einen besonderen malignen erworbenen Faktor VIII-Antikörper haben, könne das Zusatzentgelt nicht abgerechnet werden.
Das Sozialgericht hat der Klage des Krankenhauses nach Einholung eines Sachverständigengutachtens stattgegeben. Auch Bluter mit erworbener Hämophilie gehörten zu den Blutern, die mit Blutgerinnungsfaktoren behandelt werden können und deren Behandlung mit dem Zusatzentgelt abgerechnet werden kann. Lediglich Patienten mit einer nur temporären Blutgerinnungsstörung könnte das Zusatzentgelt nicht abgerechnet werden.
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hob die Entscheidung des Sozialgerichts Freiburg auf. Es vertritt die Auffassung, dass unter den Begriff des „Bluters“ nur die angeborenen Blutgerinnungsstörungen zu subsumieren sind.
Wie das LSG Bluter definiert:
„Davon ausgehend schränkt der im Text (‚Leistungslegende‘) des Bluter-ZE verwendete Begriff ‚Bluter‘ den Personenkreis, für dessen Behandlung mit Gerinnungsfaktoren das streitige Zusatzentgelt abgerechnet werden kann, zwar nicht im Hinblick auf den Krankheitsbeginn oder die Krankheitsursache, wohl aber im Hinblick auf die Krankheitsdauer ein.“
„Der Begriff des ‚Bluters‘ ist untrennbar mit dem Begriff der ‚Bluterkrankheit‘ verbunden; Bluter sind Personen, die an der Bluterkrankheit leiden. Sie bezeichnet eine Erkrankung, die (infolge gestörter Blutgerinnung) zu vermehrtem bzw. zu schwer oder auch gar nicht stillbarem Bluten führt. Weshalb es dazu kommt und (insbesondere) ob die Bluterkrankheit von Geburt an besteht oder erst später im Lauf des Lebens auftritt, die betroffene Person also schon immer (an der Bluterkrankheit leidender) Bluter war, oder erst nach der Geburt Bluter geworden ist, ist unerheblich.“
„Der Bluterbegriff unterscheidet danach nicht. Soll eine entsprechende Unterscheidung für das Vergütungsrecht gelten, muss das Vergütungsrecht andere Begriffe verwenden […] oder es muss den Anwendungsbereich des Bluterbegriffs durch Zusätze enger fassen und so einem besonderen (vergütungsrechtlichen) Bluterbegriff festlegen.“
Weiter heißt es:
„Unter der Bluterkrankheit wird nach Auffassung des Senats gemeinhin aber eine - im Sinne einer Behinderung - dauerhafte oder zumindest einen längeren Zeitraum (klinisch manifest) bestehende Erkrankung verstanden […]. An der Bluterkrankheit leidende Bluter müssen – regelmäßig lebenslang – mit der dauerhaft-manifest erhöhten Blutungsneigung und den damit verbundenen Folgen leben.“
„Wer nur – wie die Versicherte – für einen vorübergehenden Zeitraum […], also vorübergehend-manifest für die Dauer einer Akuterkrankung, unter erhöhter Blutungsneigung leidet, wird nicht als von der Bluterkrankheit betroffene Person und damit nicht als Bluter angesehen, auch wenn der zeitlich beschränkten Krankheitsmanifestation eine latente Krankheitsursache zu Grunde liegt, die ihrerseits dauerhaft (lebenslang) besteht, wie etwa eine genetische Prädisposition. Das gilt namentlich für die bei der Versicherten vorliegenden genetische Prädisposition zur Entwicklung des Faktor-VIII-Hemmkörpers.“
„Diese dauerhaft-latente Krankheitsursache kann sich – wie hier – in einer zeitlich vorübergehenden erhöhten Blutungsneigung manifestieren, wobei […] nicht vorhersehbar ist, ob und wann es zu Rezidiven (zu weiteren zeitlich beschränkten Krankheitsmanifestation) kommt.“
„Unerheblich ist auch, ob die Auslegung des Senats möglicherweise – aus medizinischen Gründen - dazu führt, dass der Bluterbegriff im Ergebnis (doch) auf Personen beschränkt wird, die unter einer angeborenen Bluterkrankheit leiden, weil nur die an (im engeren Sinne) angeborenen und nicht die (erst) im Lauf des Lebens (aufgrund einer genetischen Prädisposition) auftretenden Bluterkrankheit im vorstehenden Sinne dauerhaft bestehen.“
Grundlegende Aussage des Urteils war:
Die Entscheidung über die Enge oder Weite von Leistungstatbeständen sei eine Frage der rechtlichen Auslegung. Auf Fragen der Medizin komme es grundsätzlich nicht an. Daher sei in vergütungsrechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich kein Raum für Sachverständigen-Vernehmung.
Das LSG widerspricht sich hier in seiner Urteilsfindung.
Zum einen seien im Rahmen der Auslegungsmaßstäbe medizinische Fragen nicht maßgeblich und die medizinische Beurteilung unbeachtlich. Zum anderen bezieht sich das LSG in seiner Auslegung des Begriffs „Bluters“ auf die Annahme, dass dieser untrennbar mit dem Begriff der „Bluterkrankheit“ verbunden sei, deren Vorliegen wiederum nur medizinisch beurteilt werden kann. Unter der Rechtsfrage: Was ist ein Bluter? Wurde nun Nichtzulassungsbeschwerde beim BSG eingelegt.
Der Argumentation des Landessozialgericht Baden-Württemberg kann bereits wegen der Widersprüchlichkeit der Ausführungen nicht gefolgt werden, insbesondere bezüglich der strikten Trennung von medizinisch-wissenschaftlichen Tatsachenerkenntnissen, die der Senat zur Begründung heranzieht, in dem er die Behauptung aufstellt, dass Patienten, die nur vorübergehend-manifest für die Dauer einer Akuterkrankung unter erhöhter Blutungsneigung leiden, nicht als Bluter angesehen werden können, auch wenn der zeitlich beschränkten Krankheitsmanifestation eine latente Krankheitsursache zugrunde liegt, die ihrerseits dauerhaft (lebenslang) besteht.
Jetzt heißt es abwarten
Seit 2013 sind die Blutgerinnungsstörungen in der Anlage 7: Zusatzentgelte-Katalog verankert. Die Zuordnung erfolgt über ICD-Codes. Es wird differenziert zwischen „Behandlung von Blutern mit Blutgerinnungsfaktoren“ und „Gabe von Blutgerinnungsfaktoren“.
Die im vorliegenden Fall gegenwärtige Erkrankung, die unstreitig mit der Hauptdiagnose D68.31 (Hämorrhagische Diathese durch Vermehrung von Antikörpern gegen Faktor XIII) abgebildet wurde, ist eine dauerhaft erworbene Blutgerinnungsstörung, welches eindeutig aus der Anlage 7 hervor geht.
Das Urteil des LSG ist nicht rechtskräftig und es bleibt abzuwarten, wie das BSG diese Entscheidung beurteilt.