Dicke Menschen sind bei Pflegenden unbeliebt. Weil es körperlich verdammt anstrengend ist, sie zu versorgen. Manche Pflegekraft hat sich schon auf diese Weise die eigene Gesundheit ruiniert. Sind übergewichtige Menschen nicht doch auch selbst an ihrem Schicksal schuld?
Auf Station geht’s mal wieder zu wie im Taubenschlag. Eine ganze Reihe von Patienten werden heute entlassen und sitzen in Begleitung ihrer Angehörigen unruhig auf den Stühlchen vorm Schwesternzimmer und warten auf den Entlassbrief. Herr Schulze will unbedingt jetzt einen Arzt sprechen, weil ihm gerade jetzt irgendwas eingefallen ist, obwohl sein Anliegen eigentlich weder neu noch dringend ist und im Prinzip bis zur Visite warten könnte, aber dann hat Herr Schulze keine Zeit, weil er grundsätzlich immer zum Rauchen auf den Balkon geht, wenn Visite ist.
Die Notaufnahme hat zwei neue Patienten raufgeschickt, damit uns nicht langweilig wird und dann erscheinen vier Rettungsdienstler in der Aufzugstür. Mit dabei haben sie eine Trage im XXL-Format.
Herr Omelowski thront uns strahlt
„Wo isser?‟, fragt einer von ihnen knapp, als sie das Schwesternzimmer passieren.
Marvin deutet den Gang hinunter.
„Zimmer vierzehn!‟, und dann grinst er sein fiesestes Grinsen. „Habt ihr ein Glück, dass der Aufzug heute nicht kaputt ist!‟
Ich hätte schwören können, dass die Geste, die der Rettungsdienstler da in Marvins Richtung gemacht hat, einen Sekundenbruchteil lang wie ein Stinkefinger aussah, aber gesehen hab ich natürlich nichts.
Ein paar Minuten später sind sie wieder zurück. Und auf der Trage thront Herr Omelowski. Er sitzt da wie ein glücklicher Buddha, lächelt und strahlt in alle Richtungen und winkt wie die Queen beim Staatsbesuch.
Marvin übergibt den Rettungsdienstlern ein Kuvert und führt die Hand salutierend zur Stirn. „Abmarsch, Kollegen!‟
Monatelang saß Herr O. im Bett
Jenny schaut der Prozession kopfschüttelnd hinterher. „Wie kann man bloß so dick sein!‟, sagt sie, als die Aufzugstüren sich hinter ihnen geschlossen haben.
„Das geht ganz einfach,‟ sagt Marvin, „du musst nur genug futtern!‟
„ ... und sich keinen Schritt bewegen!‟, fügt Schwester Paula hinzu.
Das ist richtig. Als er zu uns kam, konnte Herr Omelowski nicht mehr gehen. Die letzten Monate zu Hause hatte er ausschließlich im Bett verbracht. Bevor er zu uns kam, musste die Feuerwehr ihn mit der Drehleiter aus dem Fenster hieven. Wie viel er genau wiegt, wissen wir nicht, denn unsere Waagen hören bei 150 Kilogramm auf und Herr Omelowski wiegt mehr. Streng genommen wären selbst unsere Betten nicht mehr zugelassen für sein Gewicht.
„Endlich ist er weg!‟, sagt Jenny, „ihr könnt nicht glauben, wie froh ich bin!‟
„Hey, sei doch nicht so böse zu ihm‟, entgegnet Sarah, „der kann doch nichts dafür, dass er so dick ist!‟
Die Pfleger haben schon Rückenprobleme
Jenny verzieht das Gesicht und seufzt. „Natürlich kann er das. Ich verstehe nicht, wie ein Mensch sich so gehen lassen kann!‟
„Ist das nicht allein sein Problem?‟
Jenny schüttelt den Kopf. „Nein, es ist auch mein Problem. Ich muss seine 150 Kilo bewegen, wenn er zur Toilette muss! Ich komme mir jedes Mal vor, als ob ich ein Walross durch die Gegend wuchte! Einen Tag länger und mein Rücken hätte den Dienst quittiert!‟
„Die Andrea hat sich schon seit zwei Wochen krank gemeldet,‟ fügt Marvin hinzu. „Die hat sich bei ihm verhoben, gleich am ersten Tag!‟
Dazu muss man allerdings wissen, dass Andrea allein in diesem Quartal schon mehr Fehltage angesammelt hat als Kalle, Sarah und ich zusammengenommen in den letzten zwei Jahren. Was aber nichts an der Tatsache ändert, dass die Pflege von Herrn Omelowski Schwerstarbeit war.
Ein Glas Nutella zum Frühstück
„Hey, der Mann ist doch krank!‟, wirft Sarah ein.
Das stimmt. Herr Omelowski verfügt über eine höchst eindrucksvolle Sammlung von Diagnosen. Irgendwie hängt alles mit allem zusammen und ist letztendlich auf das Gewicht zurückzuführen: So gut wie alle Gelenke schmerzen, der Rücken natürlich auch, Herz und Kreislauf sind beeinträchtig und selbstverständlich ist Herr Omelowski Diabetiker, was wiederum Einfluss auf Nieren, Augen und Nervensystem hat. Trotzdem ist er die Fröhlichkeit in Person.
„Wisst ihr, was der zum Frühstück trinkt?‟, fragt Jenny und gibt gleich die Antwort: „Er nimmt ein Glas Nutella, macht es in der Mikrowelle heiß und trinkt es aus!‟
Sarah schüttelt sich. „Na, wenn’s ihm schmeckt ...‟
„Was er mit sich selbst macht, ist seine Sache!‟, schimpft Jenny, „aber er hat kein Recht, auch uns ins Grab zu bringen!‟
„Trotzdem hat auch er ein Recht auf eine anständige medizinische Versorgung!‟, fügt Kalle hinzu und verlässt den Raum.