Nicht jeder, der nachts in der Notaufnahme auftaucht, muss stationär aufgenommen werden. Aber darf man einen Betrunkenen einfach so vor die Tür setzen?
Kreidebleich sitzt er auf der Kante der Liege in der Notaufnahme und starrt sein Gegenüber ungläubig an. „Aber Sie können doch nicht ...‟
„Natürlich können wir das, Herr Bügelmeyer!‟, sagt Kalle und lächelt jovial.
„Aber ich kann doch nicht ... in diesen Sachen ...‟
Der Patient deutet hilflos auf seinen blauweiß gestreiften Bademantel.
„Warum nicht? Sie sind doch im selben Aufzug hierher gekommen!‟
Er schaut zu Boden.
„Da war ich aber im Krankenwagen!‟
„Nun, es stand Ihnen frei, sich vorher etwas anderes anzuziehen.‟
„Konnte ich nicht. War doch krank.‟
„Nein, Herr Bügelmeyer, Sie waren nicht krank. Sie waren betrunken. Und das sind Sie immer noch.‟
„Ich komme zur Entgiftung!‟
„Ich weiß. Sie sind schon mehrmals gekommen, immer nachts und sturzbetrunken und haben gesagt, dass Sie zur Entgiftung kommen möchten. Wir haben Sie aus Mitleid immer wieder stationär aufgenommen. Jedes Mal sind sie nach zwei oder drei Tagen wieder gegangen oder haben wieder angefangen, zu trinken oder was weiß ich. Wir haben Ihnen mehrmals gesagt, dass wir Sie nicht mehr ernst nehmen können und wegen einer Entgiftung nicht mehr stationär aufnehmen werden. Sie sind trotzdem immer wieder gekommen. Und aus Mitleid haben wir Sie nicht fortgeschickt ...‟
„Warum tun Sie das jetzt?‟
„Weil Sie meine Kollegin bedroht haben.‟
„Diese Schla ...‟
„Bitte, Herr Bügelmeyer!‟
„Die wollte mich rausschmeißen!‟
„Meine Kollegin hat Ihnen das gesagt, was ich Ihnen gerade gesagt habe. Daraufhin sind Sie laut geworden und haben Sie körperlich bedroht. Zum Glück ist unser Pfleger Marvin rechtzeitig dazwischen gegangen.‟
„Wissen Sie, was der gemacht hat? Der hat mir fast den Arm ausgekugelt!‟
„Er hat Sie vor einer Anzeige wegen Körperverletzung bewahrt.‟
„Aber so kann ich doch nicht auf die Straße ...‟
„Wir rufen Ihnen ein Taxi.‟
„Das zahlt die Kasse?‟
„Nein, das zahlen Sie selbst.‟
„Und wo soll ich hin?‟
„Das wird Sie der Taxifahrer nachher auch fragen. Bis dahin sollten Sie sich eine Antwort überlegt haben.‟
„Hören Sie, meine Frau hat mich vorhin rausgeschmissen ... Ich sitze auf der Straße!‟
„Das ist sehr bedauerlich.‟
„Das ist unterlassene Hilfeleistung ...‟, der Patient macht keine Anstalten, aufzustehen, „ ... wir sehen uns vor Gericht!‟
Kalle lächelt.
„Gerne. Ich darf Sie jetzt trotzdem bitten, das Haus zu verlassen!‟
Herr Bügelmeyer bleibt sitzen und wirft Kalle einen provozierenden Blick zu.
Marvin ist hinzu getreten. „Wird’s bald oder brauchst du eine Extra-Einladung? In zehn Minuten sind die Bullen hier!‟
Herr Bügelmeyer schaut noch einmal vom einen zum anderen und dann steht er auf und geht wortlos davon. Kurz darauf sehen wir ihn durchs Fenster durch die nächtlichen Straßen ziehen.
„Er kann einem trotzdem leid tun!‟, sagt Sarah.
Kalle schaut auf die Uhr. „In drei Stunden macht das Sozialamt auf!‟, sagt er, „bis dahin wird er schon nicht erfrieren!‟