Obwohl vielversprechende Effekte von Schilddrüsenhormonen auf den Fettstoffwechsel lange bekannt sind, konnten diese wegen Nebenwirkungen auf Herz und Knochen bisher nicht medizinisch genutzt werden. Ein Trick mit einem Doppelhormon könnte das künftig möglich machen.
Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, Fettleibigkeit und Herzkreislauferkrankungen nehmen vor allem in Industrienationen unvermindert zu, weshalb intensiv an neuen Behandlungsmethoden geforscht wird. Ein Ansatz ist die sogenannte personalisierte Medizin, bei der individuelle Therapien für bestimmte Patientengruppen maßgeschneidert werden. Adipositas- und Diabetespatienten mit Fettleber bilden solch eine Untergruppe, für die es bisher kaum Präzisions-Therapeutika gibt. Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung ist nun dem Wissenschaftlerteam um Dr. Timo Müller und Prof. Matthias Tschöp am Helmholtz Zentrum München gelungen.
„Ziel war es, das Schilddrüsenhormon T3 vermehrt in die Leber einzuschleusen und es möglichst von Herzmuskel und Knochen fernzuhalten“, sagt Müller, Leiter der Pharmakologie am Institut für Diabetes und Adipositas (IDO) des Helmholtz Zentrums München und Partner im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD). „Obwohl die vielversprechenden Effekte von Schilddrüsenhormonen auf den Fettstoffwechsel seit Jahrzehnten bekannt sind, konnten diese aufgrund bekannter Nebenwirkungen auf Herz und Knochen bisher nicht medizinisch genutzt werden“, so Tschöp. „Unser Trick mit dem Doppelhormon, ähnlich dem trojanischen Pferd, macht das jetzt zum ersten Mal möglich“, führt Tschöp fort, der das Konzept gemeinsam mit dem Chemiker Prof. Richard DiMarchi von der Indiana University in Bloomington, USA entwickelt hatte.
Durch die Bindung des Schilddrüsenhormons T3 an Glukagon gelangt T3 nur in Zellen, die den Glukagonrezeptor haben. „Der Rezeptor für Glukagon wird überwiegend in der Leber ausgebildet, fehlt aber in Herz und Knochen. Diese Beobachtung haben wir für unsere ferngesteuerte Medikamentenauslieferung benützt“, berichtet Dr. Christoffer Clemmensen, Arbeitsgruppenleiter am Helmholtz Diabetes Center. Im Rahmen ihrer Versuche konnten die Wissenschaftler eine Reihe positiver Effekte beobachten, die auf die Behandlung mit dem neuen Wirkstoff zurückgehen. So verbesserten sich im Versuchsmodell nicht nur der Zuckerstoffwechsel und die Cholesterinwerte, auch das Körpergewicht und die Verfettung der Leber wurde nachhaltig gesenkt. „In unseren Augen ist die Entwicklung des neuen Wirkstoffs ein großer Schritt für die personalisierte Medizin“, erklärt Müller. © Dr. Timo Müller
„Sollte sich die Wirkung von T3 auch in klinischen Studien auf die Leber konzentrieren und sich Cholesterin dadurch sicher und gezielt senken lassen, könnte das schwerwiegende Gefäßverkalkungen aber auch Lebertransplantationen vorbeugen“, so Prof. Susanna Hofmann von der Ludwig-Maximilians Universität. Neben der Fortentwicklung des Wirkstoffs für die klinische Anwendung prüft das Team jetzt, welche weiteren Zielgewebe sich spezifisch ansteuern lassen, um die Wirkung von T3 dort selektiv zum Einsatz zu bringen. Müller fasst zusammen: „Das Wirkprinzip dieses neues Moleküls öffnet eine neue Tür für die Entwicklung personalisierter Stoffwechselmedizin.“ Originalpublikation: Chemical Hybridization of Glucagon and Thyroid Hormone Optimizes Therapeutic Impact for Metabolic Disease Brian Finan et al.; Cell, doi: 10.1016/j.cell.2016.09.014; 2016