Wenn in Neuseeland jemand ein rotes Stirnband oder ein Bulldoggen-Abzeichen trägt, weiß jeder Bescheid. Ich wusste es bis vor kurzem nicht. Es handelt sich um Mitglieder der Gang „Mongrel Mob“, Rivalen der „Black Power“. Nach Schlägereien besucht man uns in der Sprechstunde.
Herr P., Mitte 50, saß im Zimmer der Krankenpflegerin in der morgendlichen Sprechstunde für akute Fälle und war nicht glücklich. Er war am Vortag schon einmal gekommen, weil er sich bei einer Schlägerei zwei gebrochene Rippen geholt hatte. Laut eigenen Angaben war die Schlägerei zwischen zwei rivalisierenden Gangs ausgebrochen.
Herr P. ist kein Unbekannter
Er taucht immer mal wieder in der Akutsprechstunde auf, meistens mit Gichtanfällen oder kleineren Verletzungen, um danach mit seiner Verschreibung wieder zu verschwinden. Und, wie der Vermerk „bad debtor“ in seiner Akte anzeigt, meist auch ohne seine Rechnung zu bezahlen.
Ich hatte mich am Vortag schon über Herrn P. geärgert, da er, anstatt nach dem Röntgen direkt wieder in die Praxis zu kommen, sich erstmal eine Portion Fritten holen gegangen war und erst wieder erschien, als der Rest der Praxis, mich eingeschlossen, gerade in die Mittagspause wollte. So saß er dann in meinem Praxisraum, während mir auf meinen nüchternen Magen vom Geruch seiner Fritten schlecht wurde.
Pommes statt Apothekengebühr
Er jammerte zum Steinerweichen, dass er sich die Schmerzmittel erst morgen würde holen können, da er noch kein Gehalt bekommen habe. Missmutig, da das Geld ja offensichtlich noch für Fastfood gereicht hatte, aber nicht mehr für die fünf Dollar Apothekengebühr, hatte ich ihm Schmerzmittel bis zum nächsten Morgen vorgestreckt. Und nein, nicht „ein paar mehr, um sicher zu gehen“, sondern nach Verordnung.
Nun saß Herr P. also am nächsten Morgen schon wieder in der Sprechstunde, weil ihm eingefallen war, dass ihm auch der Zeh wieder weh tat. Er war mehrfach aufgefordert worden, sich wegen seiner chronischen Gicht einen Termin geben zu lassen, war aber nie erschienen.
Herr P. argumentierte außerdem, dass er die heutige Sprechstunde nicht zu bezahlen habe, da sein weher Zeh ganz offensichtlich mit der Schlägerei zusammenhinge und deshalb von der ACC (Accident Compensation Corporation) getragen werden müsse. Und ob er noch mehr Schmerzmittel bekommen könne. Normalerweise sind die Pfleger sehr bestimmt in solchen Fällen, deshalb war ich verwundert, dass die Pflegerin, die sich mit Herrn P. herum ärgerte, bei mir Rückendeckung holen kam.
Herr P. ist ein Gangster?
Wie sich herausstellte, war Herr P. außerdem darüber verärgert, dass ihn die Pflegerin aufgefordert hatte, seine Gang-Farben in Gestalt eines roten Stirnbands abzulegen.
Ich hatte bisher nur oberflächlich von den in Neuseeland tätigen Gangs gehört, und musste mir die Situation erst erklären lassen: Offenbar gehört unser Patient zum „Mongrel Mob“, zu dessen Erkennungszeichen neben dem roten Stirnband auch ein Abzeichen in Form einer Bulldogge gehört.
Mongrel Mob vs. Black Power
Die Gang engagiert sich in den klassischen Feldern von Körperverletzung, Drogenhandel, Raub und Vergewaltigung und liefert sich eine teilweise blutige Rivalität mit den Angehörigen der „Black Power“. Das Tragen von Gang-Abzeichen ist deshalb in öffentlichen Gebäuden verboten, und in vielen Fällen auch das Tragen der Farben.
Die Auseinandersetzung war der Pflegerin sichtlich unangenehm, deshalb bestätigte ich ihre Position in allen Punkten: kein Fall für die akute Sprechstunde, kein ACC, keine weiteren Schmerzmittel, kein Stirnband (wir konnten Herrn P. leider nicht auffordern, sein Abzeichen abzulegen, da er es sich auf die Wange hatte tätowieren lassen). Der Patient zog grummelnd von dannen.
Freundlicher Besuch in voller Gang-Montur
Ich habe keine Ahnung, wie groß die Bedrohung durch die Gangs in Neuseeland im Allgemeinen und in Dannevirke im Besonderen ist. Tatsächlich machte ich mir im Nachhinein etwas Sorgen, ob wir möglicherweise Ärger zu erwarten hätten. Herr P. fand sich noch am selben Nachmittag in meiner terminlichen Sprechstunde wieder, ohne sein rotes Stirnband, dafür mit rotem T-Shirt, roter Jacke und roten Schuhen. Und als die Freundlichkeit in Person.
Ich habe tatsächlich kurz überlegt, ob ich ihn auffordern sollte, alles abzulegen … oder ihn direkt hinauszuwerfen. Letzten Endes habe ich mich entschlossen, die Provokation komplett zu ignorieren und stattdessen ein ernstes Gespräch mit Herrn P. über seinen Alkoholkonsum und seine Ernährung zu führen. Er war sichtlich enttäuscht über diese Fremde, die seinen vestimentären Aufwand so gar nicht zu würdigen wusste.