Rechtsmedizin. Die bisherigen Vorlesungen waren durchaus gewöhnungsbedürftig. Typische Stich- und Schussverletzungen, Merkmale einer Wasserleiche, zu beachtende Dinge am Leichenfundort. Morgens früh um neun ist das ganz schön schwere Kost.
Entsprechend gespannt (und auch leicht angespannt) bin ich am ersten Tag im Institut. Wir betreten das abseits vom restlichen Klinikgelände errichtete hübsche Gebäude, das von außen nicht ahnen lässt, was genau in den Räumlichkeiten vor sich geht. Ein beißender Geruch hüllt uns ein. Meine Freundin rümpft die Nase und atmet durch den Mund.
Mich erinnert das ganze an einen Urlaub in Asien – ähnelt der Geruch nicht Durian, der berühmt berüchtigten Stinkfrucht oder war es doch etwas anderes? Schimmel, mit dem man in tropischen feucht-warmen Ländern ja durchaus auch zu kämpfen hat? Wir werden eines besseren belehrt. Heute früh wurde eine verfaulte Leiche gebracht. Klar, wo wenn nicht hier. Wie die meisten kennen wir bisher nicht viel mehr als das, was wir im Tatort gesehen haben.
Erstes Mal Leichenschau
Die Einführung in den Kurs ist noch gut verträglich. Grundlegende Fragen werden beantwortet: Was ist bei einer Leichenschau zu beachten, wie sind die entsprechenden Unterlagen auszufüllen. Früher oder später werden wir alle in die Situation kommen, den Tod eines Menschen feststellen und bescheinigen zu müssen.
Die Rechtsmediziner haben ein wichtiges Anliegen: uns das notwendige Handwerkszeug mitzugeben, damit wir nichts übersehen (insbesondere kein Fremdeinwirken) und die Dokumentation richtig und ordentlich anfertigen. Immerhin ist sie ein Aushängeschild unseres Berufsstandes gegenüber der Polizei und im Zweifelsfall der Staatsanwaltschaft. Und die genannte Todesursache von zentraler Bedeutung für Statistiken und damit DRG-Pauschalen und Forschungsgelder.
Nach einer Pause geht es in die Praxis. Ohne ins Detail zu gehen – leicht gefallen ist die Leichenschau wohl keinem von uns. Und trotzdem: Wie schon im Präpariersaal merken wir auch hier, dass man mit der Zeit auch mit anfangs sehr unangenehmen Situationen umzugehen lernt. Und bekommen ein Bewusstsein für unsere spätere Aufgabe.
Wer hat Recht, wer hat Schuld?
Später gibt es Fallbesprechungen, von denen mir eine ganz besonders im Gedächtnis bleibt: Es geht um zwei Notärzte, die bei der Versorgung eines Patienten im Rahmen eines Autounfalls fatal falsche Entscheidungen getroffen haben. Diese haben letztendlich zum Tod des Verletzen geführt. Denn auch das ist Rechtsmedizin: Gerichtliche Gutachten erstellen, um Verantwortlichkeiten zu klären und Schuldfragen zu beantworten.
In diesem Fall sind wir schockiert: Abgesehen davon, dass der Tod eines jungen Patienten unter diesen Umständen alle Beteiligten (inklusive Ärzte) äußerst betroffen macht, können Mediziner (schon bald auch wir!) selbst bei leitliniengerechtem Vorgehen juristisch belangt werden. Für Fehler, die nicht passieren dürfen, aber in der Realität vermutlich nie zu 100 Prozent zu vermeiden sein werden.
Unsere Dozentin nickt. Sie fügt hinzu, dass sie sich allerdings manchmal sogar härtere Strafen wünschen würde bei Ärztefehlern. Sie habe schon einiges erlebt, was wir uns nicht vorstellen könnten. Und, dass es die Notärzte unter den Ärzten naturgemäß besonders schwer haben. Unter großem Zeitdruck haben sie oftmals ganz allein zu entscheiden, wie vorgegangen wird. Daher, fügt sie hinzu, hätte sie selbst auch nie Notarzt werden wollen.
Pro und Kontra
Entscheidungen treffen müssen Rechtsmediziner selbst eigentlich gar nicht. Sie führen gerichtliche Beschlüsse aus und tragen mit ihrem Sachverstand dazu bei, herauszufinden, ob eine angeblich von einem Unfall herrührende Verletzung möglicherweise doch eher auf Missbrauch hindeutet, Mord oder doch eher Selbstmord möglich oder wahrscheinlich ist, Befunde sich in die eine oder andere Richtung deuten lassen. Entscheiden und eine Strafe festlegen liegt dann in der Hand eines Richters.
Spannend! Aber trotz aller interessanten Einblicke kein Nischenfach, das mich reizt. Obwohl ich den Eindruck gewonnen habe, dass es – trotz aller Fehler – in der Rechtsmedizin durchaus zwischendurch so zugeht wie im Tatort. Zum Blog geht es hier.