Der Karpaltunnel läuft durch die Handwurzel und beherbergt in seinem Inneren den sogenannten Nervus medianus. Diese Nervenfasern werden bei einer Verengung des Karpaltunnels stark komprimiert und der ungesunde Dauerdruck verursacht verschiedene Symptome.
Am häufigsten beschreiben mir Patienten, dass sie ein Kribbeln in Daumen, Zeige- und Mittelfinger verspüren. Außerdem wachen sie nachts manchmal auf und genau diese drei Finger sind taub. Das sind die typischen Anfangssymptome.
Ursachen des Karpaltunnelsyndroms und was Sie zuerst tun sollten
Viele Menschen haben mit dem Karpaltunnelsyndrom zu kämpfen. Aus diesem Grund ist die Krankheit recht gut erforscht. Die häufigste Ursache ist eine chronische Überlastung der betroffenen Hand. Zu mir kommen viele Betroffene, die täglich zig Stunden am PC sitzen und so eine Sehnenscheidenentzündung der Fingerbeuger bekommen. Auch schweres Heben und Fehlhaltungen im Beruf führen zur Überlastung. Andere Ursachen sind Infektionen, ein hoher Venendruck (bei Dialyse- und Diabetes-Patienten) oder eine Schilddrüsenunterfunktion.
Meine Empfehlung ist daher immer: Suchen Sie bei Kribbeln, Taubheit und Schmerzen der Finger zuerst Ihren Arzt auf und klären Sie, ob eine Verengung des Karpaltunnels vorliegen könnte und was die Ursache dahinter ist.
Physiotherapie versus OP
Ist das Karpaltunnelsyndrom einmal da, muss gehandelt werden. Von allein werden Sie die Beschwerden kaum los. Die wichtigste Frage daher: Lohnt sich eine Physiotherapie oder führt kein Weg an einer OP vorbei? Immerhin sorgt der Chirurg für eine dauerhafte Druckentlastung des Nervs, indem er das Band "Retinaculum flexorum" darüber durchtrennt. Das ist sicher die beste Lösung, oder?
Um es ganz klar auf den Punkt zu bringen, ich sehe eine OP als Ultima Ratio. Nur wenn vorherige Maßnahmen keine Linderung bewirkt haben, sollte die Hand operiert werden. Der Grund: Handchirurgie ist ein kompliziertes Feld und mögliche Komplikationen können weitreichende Folgen für die Grob- und Feinmotorik der betroffenen Hand haben. Hinzu kommt: Selbst wenn die Operation bestmöglich verläuft, gibt es Patienten, die im Anschluss noch immer Beschwerden haben.
Damit teile ich den Standpunkt vieler Mediziner, die nur dann zu einer Operation raten, wenn konservative Behandlungsmethoden versagt haben. Ihre beste Alternative zur OP: der Gang zur Physiotherapie. Eine aktuelle Studie aus Spanien hat sogar ergeben, dass der Physiotherapeut nicht nur im Anfangsstadium helfen kann, sondern sogar bei bereits vorhandenen Nervenschäden in der Hand.
Studie mit 100 Frauen: 50 gingen zur OP und 50 wählten die Physiotherapie
An der Universidad Alcorcón hat man 100 Patientinnen mit Karpaltunnelsyndrom über ein Jahr hinweg begleitet. 50 bekamen einmal wöchentlich eine manuelle Therapie bei einem Physiotherapeuten. Dabei wurde der Ursprungsort des betroffenen Nervus medianus in der Nackenregion behandelt. Zusätzlich gab man den Damen Hausaufgaben: Sie sollten tägliche spezielle Dehnungsübungen durchführen. Die übrigen 50 Patientinnen entschieden sich für die operative Behandlung. Alle Teilnehmerinnen wurden nach vier Wochen, zwölf Wochen, sechs Monaten und schließlich einem Jahr untersucht.
Die Physiotherapie wirkt schneller
Das Karpaltunnelsyndrom besserte sich bei den Frauen der Physiotherapie-Gruppe bereits nach vier Wochen. Sie hatten weniger Symptome (Kribbeln, Taubheit, Schmerzen) und konnten ihre Griffkraft erhöhen. In der OP-Gruppe dauerte die Erholungsphase aufgrund des Eingriffs länger. Nach drei Monaten lagen die Teilnehmerinnen beider Gruppen aber in sämtlichen Punkten gleich auf.
Fazit zur Frage: Ist die Physiotherapie eine Alternative zur Operation?
Die spanische Studie bestätigt damit ältere Ergebnisse und meine Praxiserfahrung. Die Physiotherapie gibt den Betroffenen die Chance, ohne Operation ein normales Gefühl in der Hand und eine gesunde Funktionalität im Alltag zurückzugewinnen.
Eine OP ist immer ein invasiver Eingriff und diese Risiken gilt es bei der Therapieentscheidung zu berücksichtigen. Die Physiotherapie ist daher nicht nur eine Alternative zur Operation, sie sollte die erste Wahl sein. Bleibt dann eine Besserung des Karpaltunnelsyndroms aus, kann immer noch über eine Operation gesprochen werden.
Die Studie ist auch ein Denkanstoß für die aktuellen Leitlinien
Im Moment wird in vielen Ländern eine Operation dann als erste Wahl benannt, wenn die Schmerzen in der Hand chronisch sind und/oder starke Funktionseinschränkungen im Alltag auftreten. Auch beginnende Lähmungserscheinungen geben den behandelnden Ärzten den Impuls, zeitnah eine Operation zu empfehlen. Die Studie der Universidad Alcorcón zeigt aber, dass selbst in fortgeschrittenen Stadien das Karpaltunnelsyndrom beim Physiotherapeuten in sprichwörtlich guten Händen ist.
Quelle:
http://dx.doi.org/10.2519/jospt.2017.7090
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