Nicht alle Fälle sind eindeutig. Unklare Symptome und begrenzte Verfügbarkeit von Diagnosemöglichkeiten sind aber nunmal eher die Regel als die Ausnahme in der Allgemeinmedizin. Und manchmal ist man einfach überfragt...
Manchmal ist die Diagnose einfach nicht eindeutig. Der Umgang mit der (eigenen?) Unsicherheit ist etwas, dass die Allgemeinmedizin vom Krankenhaus grundlegend unterscheidet. Und im ländlichen Neuseeland wird dieser Umgang nicht leichter.
Es stehen halt nur begrenzte Mittel zur Diagnose zur Verfügung und die Hemmschwelle, Patienten im Zweifel zur Abklärung ins Krankenhaus zu schicken, ist deutlich höher, wenn man dafür einen Transport zur eine Stunde Fahrtzeit entfernten Notaufnahme organisieren muss. Die Patienten sehen das genauso: Wenn es ihnen nicht akut schlecht geht, lehnen viele die Fahrt auch einfach ab. Ob der Arzt jetzt zu 100 Prozent sicher ist oder nicht.
Symptomrätsel zum Frühstück
Zum Glück geht es ja aber nicht immer um Leben und Tod und man hat Zeit, knifflige Fälle mit den Kollegen zu diskutieren. So wird die Frühstückspause zur fröhlichen Rätselrunde um mysteriöse Symptome.
Meine derzeitigen Rätselfälle? Ausschläge in verschiedenen Variationen. Da die durchschnittliche Wartezeit auf einen Termin beim Dermatologen hier bei mindestens sechs Monaten liegt und die meisten Anfragen (trotz beigelegter Fotos) mit einer höflichen Abwandlung von „das müssten Sie selber wissen“ abgelehnt werden, ist es ein Ding der Unmöglichkeit, eine Spezialistenmeinung zu einem Hautproblem zu bekommen. Und dann verändern sich die Ausschläge natürlich auch noch...
Dreierlei Ausschlag
Mein letzter Rätselpatient (männlich, Anfang 30) hatte gleich drei verschiedene: Zuerst war er von einer Kollegin gesehen worden, mit leichten Halsschmerzen, etwas erhöhter Temperatur, geschwollenen Lymphknoten am Hals und allgemeinen Gliederschmerzen. Die Kollegin hatte einen Abstrich vom Rachen gemacht und einen vermutlich viralen Infekt diagnostiziert. Als der Patient eine Woche später in meiner Sprechstunde saß, waren Halsschmerzen und Fieber weg, dafür taten ihm immer noch alle Knochen weh, besonders die Unterarme. Und er hatte Ausschlag an den Oberschenkeln: Bläschen, die höllisch brannten –und das auf beiden Seiten. Dermatom L2. Sah für mich nach Gürtelrose wie aus dem Lehrbuch aus, der Abstrich war negativ zurück gekommen und Gliederschmerzen bei einem viralen Infekt sind ja durchaus möglich. Also Virostatika und Schmerzmittel.
Eine Woche später saß der Patient schon wieder da: Die Bläschen waren weg, dafür hatte er am ganzen Körper feinen, blassrosa Ausschlag, der höllisch juckte. Die Unterarme waren ok, dafür tat ihm jetzt das Knie weh. Ich war verdutzt. War das jetzt noch Teil des Krankheitsbildes? Eine Allergie auf die Medikamente oder schon wieder etwas Neues? Ich bat um eine Blutabnahme. Ergebnis: Erhöhte Leukozyten und ein CRP von 146mg/l. Oha, also eher infektiös... aber was? Ich tippte auf rheumatisches Fieber und wurde mit erhöhten ASLO Werten belohnt. Also doch Streptokokken! Trotz negativem Rachenabstrich und ohne Fieber... Dass sich die Mikroben aber auch nicht ans Lehrbuch halten wollen. Der Patient wurde wieder einbestellt (mittlerweile mit Urtikaria-ähnlichem Ausschlag auf Brust und an den Oberarmen) und nach Ausschluss von Glomerulonephritis und Endokarditis mit Antibiotika nach Hause geschickt. Fortsetzung folgt.
Noch nie gesehene Komplikationen
Kompliziert verlaufende Streptokokkeninfektionen sind in Neuseeland keine Seltenheit: Die Volksgruppen der Maori und anderer Ethnien von den Pazifischen Inseln sind gegenüber diesen Infektionen deutlich anfälliger und schwere Verläufe weit häufiger als bei den Nachkommen der europäischen Siedler. Komplikationen wie rheumatisches Fieber oder Endokarditis, die ich zu Hause noch nie gesehen hatte, treten so häufig auf, dass die Guidelines zur Behandlung von Mandelentzündung in Neuseeland von den internationalen abweichen. Bei Verdacht wird hier viel eher zum Antibiotikum gegriffen. Abstriche sind quasi Pflicht. Und trotzdem – manchmal geht einem einer durch...
Mein neuer Rätselpatient kam heute morgen mit feinem, bläschenartigen Ausschlag an beiden Händen, auch in den Handinnenflächen, in die Praxis. Dazu noch Aphten im Mund und starke Gelenksschmerzen in Handgelenken, Ellenbogen und Schultern. Die Symptome hatten vor einer Woche angefangen und während der Ausschlag besser wurde (zu Beginn war er auch an den Füßen sichtbar gewesen, allerdings schon wieder verschwunden), verschlimmerten sich die Gelenkschmerzen immer mehr. Fieber verneinte der Patient, der Rest der Untersuchung war unauffällig.
Hand-Fuß-Mund, die Zweite?
Auf den ersten Blick sah es nach einem Lehrbuchfall von Hand-Fuß-Mund Exanthem aus... Nur bei einem erwachsenen Patienten, der außerdem versicherte, er habe Hand-Fuß-Mund vor ein paar Jahren schon gehabt. Und die geschwollenen Gelenke waren auch eher untypisch. Dummerweise bietet das Labor keinen Nachweis für Coxsackie-Viren an, ensprechende Anfragen müssten in ein Speziallabor in Wellington oder Auckland geschickt werden. Mit einer Antwort wäre frühestens in drei Wochen zu rechnen. Also erst einmal symptomatische Behandlung und Ausschluss von Differentialdiagnosen über Standardtests... Und Erörterung des Falls in der Kaffeepause.