Lassen sich die Folgen eines traumatischen Erlebnisses im Sinne einer PTBS außer mit Psychotherapie noch über Neurotransmitter behandeln? Ein Züricher Forscherteam behauptet, das Trauma-Gedächtnis beim Menschen medikamentös mit dem Antibiotikum Doxycyclin 200 mg täglich blockierend beeinflussen zu können, hat aber experimentell nur die Angst vor leicht schmerzhaften Stromstößen genommen.
Wissenschafts- und erkenntnistheoretische Schwächen
Doch mit der komplexen Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung" [PTBS] nach ICD-10-GM (2016) F43.1+G hat die Publikation "Blocking human fear memory with the matrix metalloproteinase inhibitor doxycycline" von D. R. Bach et al. http://www.nature.com/mp/journal/vaop/ncurrent/pdf/mp201765a.pdf
meines Erachtens nicht das Geringste zu tun. Im Gegenteil: Es zeugt von wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Schwächen bzw. reduktionistischem monokausalem, biologistischem Denken, das "menschliche Angstgedächtnis" bzw. "Matrix-Metallproteinase-Hemmer" wie Doxycyclin mit den komplizierten Mechanismen von verschiedenen Formen, Intensitäten und differenzialdiagnostischen Verlaufsbeobachtungen der PTBS gleichsetzen zu wollen.
Pawlow'sches Labormodell
Die Versuchsanordnung war äußerst schlicht gestrickt: Ein Labormodell für Angsterkrankungen (also keine PTBS?) sei von hoher klinischer Relevanz bei störenden Angsterinnerungen, wurde tautologisierend bei fehlender In-vivo-Evidenz für diesen Vorschlag postuliert...und zum "Beweis" von "Bedrohungs-Lernen" wurde die Untersuchung einer Pawlow'schen Angst-Reflex-Konditionierung angeboten ["...laboratory model for anxiety disorders. Interfering with such memories in humans would be of high clinical relevance. On the basis of studies in cell cultures and slice preparations, it is hypothesised that synaptic remodelling required for threat learning involves the extracellular enzyme matrix metalloproteinase (MMP) 9. However, in vivo evidence for this proposal is lacking. Here we investigate human Pavlovian fear conditioning under the blood–brain barrier crossing MMP inhibitor doxycyline in a pre-registered, randomised, double-blind, placebo-controlled trial."].
Autoren widersprechen sich selbst
Dass die Autoren insgesamt gar nicht so wirklich wissen, was sie denn nun begrifflich dezidiert meinen, wird im Schlusswort ihres Abstracts deutlich: Dort ist plötzlich weder vom "menschlichen Angstgedächtnis" ["human fear memory"], von "Angsterkrankungen" ["anxiety disorders"] noch von "Bedrohungs-Lernen" ["threat learning"], sondern von der "Formierung der Bedrohungserinnerung" ["threat memory formation"] die Rede ["Our findings support an emerging view that extracellular signalling pathways are crucially required for threat memory formation. Furthermore, they suggest novel pharmacological methods for primary prevention and treatment of posttraumatic stress disorder."].
Auch Bedrohungserinnerung ist keine PTBS
Wie aus der "Formierung der Bedrohungserinnerung" aber tatsächlich die Diagnose einer "Posttraumatische Belastungsstörung" [PTBS] entwickelt werden soll, bleibt weiterhin völlig ungeklärt.
Die Pawlow'sche Konditionierung von 1905: Auf die Darbietung von Futter als unbedingtem Reiz folgt Speichelfluss als unbedingte Reaktion; auf das Ertönen eines Glockentons als neutralem Reiz nichts. Erklingt der Glockenton mehrfach in engem zeitlichem Zusammenhang mit einem Futter-Angebot , reagieren die Hunde schließlich auf den Ton allein mit dadurch konditioniertem Speichelfluss. Ein völlig unzureichendes Erklärungsmodell für das äußerst komplexe und keineswegs konstant konditionierbare Syndrom einer PTBS. Aber auch die hier experimentell verwendete verhaltenspsychologische Angst-Konditionierung mit Stromstößen entspricht keineswegs der psychodynamisch komplizierteren PTBS.
Unspezifische Verteilung - potenzielle Nebenwirkungen
Wenn 200 mg Doxycyclin oral gegeben werden, verteilt es sich von Kopf bis Fuß, vom Hirn bis zu den Hämorrhoiden sozusagen. Wie diese antibiotisch wirksame Substanz dann wissen soll, dass sie gezielt "leicht schmerzhafte elektrische Reize", das menschliche Angstgedächtnis ["Blocking human fear memory"] und obendrein noch komplexe Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) blockieren und therapeutisch lindern soll, bleibt vollkommen schleierhaft. Und potenziell multiresistente Keime würde sie zusätzlich als Nebenwirkungen heranzüchten? Vgl. http://news.doccheck.com/de/blog/post/6009-das-neue-antitraumatikum/
Quelle:
Molecular Psychiatry advance online publication 4 April 2017; doi: 10.1038/mp.2017.65
"Blocking human fear memory with the matrix metalloproteinase inhibitor doxycycline" von D. R. Bach, A. Tzovaraand, J. Vunder