In der Morgenbesprechung wird mal wieder heiß diskutiert. Ein Patient wurde aufgenommen. Er müsste dringend operiert werden, nicht lebensgefährlich, aber dringend. Er hat keine Krankenversicherung und kann die OP nicht bezahlen.
Die Verwaltung steht natürlich mal wieder parat. Die scheinen einen echt schnellen Draht zu haben, zumindest was das liebe Geld betrifft. Wir sollen warten, bis die Übernahme der Kosten geklärt ist. Der Bürohengst verlässt den Raum und unser Chef setzt Prioritäten.
„Hüften/Knie, alle elektiven Sachen, müssen definitiv heute laufen. Wir müssen schließlich ans liebe Geld denken.“ Ich wechsle einen Blick mit Frau Kollegin. Sie rollt mit den Augen. „Ach, und das Sprunggelenk aus Saal 3 ist noch deutlich zu geschwollen. Das können wir erst morgen operieren, wenn es weiter abgeschwollen ist. Dafür operieren wir Patient No-insurance.“ Die Augenbrauen meiner Kollegin zucken nach oben. Prioritäten sind wichtig.
Auf zu den Patienten
Ich komme in der Notaufnahme an. Es warten schon fünf Patienten. OA Superwichtig ruft an. Ich soll nicht vergessen, dass ich ab elf Uhr auch noch in eine superwichtige Besprechung muss. Also eigentlich seine superwichtige Besprechung. Superwichtig. Muss ja extrem superwichtig sein, wenn ich anstelle von ihm hinmuss.
Dann also auf zu Kabine 1 und 2. Der Patient in Kabine 1 kostet mich unangebracht viel Zeit und Nerven, bis er verstanden hat, dass ich ihn nicht wegen einer Kleinfingerprellung für eine Woche krankschreiben werde. Auch nicht, obwohl er doch morgen diese Prüfung hat, die er wahrscheinlich nicht bestehen wird.
Für eine Viertmeinung in die Notaufnahme
Der Patient in Kabine 2 kommt mit Kniegelenksschmerzen. Klinisch eindeutig ein Innenmeniskusproblem. Nachdem ich ihm meinen Befund und die Möglichkeiten erklärt habe (weitere Diagnostik, konservative vs operative Therapie, Aufklärung etc.) zieht er verschmitzt einen Ordner heraus. Er ist hier zur Viertmeinung ... ob wir hier wohl zum selben Ergebnis kommen würden ...? In der Notaufnahme!
Akten, Briefe, CDs, Befunde, alles ist dabei. Außerdem hätte er gerne noch ein EKG, wenn er sowieso schon mal da sei. Ach, operieren lässt er das natürlich nicht. Klar. Auf meine Bitte, einen Termin in der Sprechstunde zu vereinbaren, sollte er sich zu einer OP entscheiden, reagiert er mit „Denken doch alle nur ans liebe Geld, die Ärzte. Wo gibt es hier die Beschwerdezettel?“
Patient mit Atemnot und Hustenreiz
Als ich zu Patient fünf komme ist es 10:55 Uhr. „Rippenschmerzen vom Hausarzt“ steht im Triage-System. Noch schnell Röntgen vor der superwichtigen Besprechung. Er ist 75 Jahre alt und entpuppt sich als Atemnot mit Hustenreiz und Schmerzen auf der rechten Thoraxseite, nachdem er die Treppe herunter gefallen ist. Er wollte eigentlich gar nicht kommen und hat natürlich brav gewartet.
Rechtsseitig ist kein Atemgeräusch unter meinem Stethoskop zu hören. Auf dem Röntgenbild sind drei Rippen gebrochen und der rechte Lungenflügel ist kollabiert. Scheiße. Pneumothorax.
Als OA Superwichtig um 11:05 Uhr auf meinem Telefon Sturm klingelt, kann ich leider nicht ran gehen. Da stecken meine Finger bereits zwischen den Rippen des älteren Mannes, um ihm eine Thoraxdrainage zu legen. Prioritäten sind wichtig.