„Akademisches Lehrkrankenhaus“ prangt auf jedem einzelnen Arztbrief, der in meinem Famulaturkrankenhaus geschrieben wird. Bei aller Bereitschaft zum Lehren werde ich manchmal den Eindruck nicht los, dass man als Neuer hier viele alte Hasen nervt.
Die neue FSJ-lerin an der Schleuse, die zu langsam ist; die Pflegeschülerin in der Einleitung, die zu unselbstständig arbeitet; der Famulus, der ständig im Weg steht; der PJ-ler am OP-Tisch, der „zu dumm ist, die Haken richtig zu halten“; der neue Assistenzarzt, über dessen Nervosität sich alle hinter vorgehaltener Hand totlachen. Und die jungen Oberärzte, über die alteingesessene Pflegekräfte motzen, weil Narkose-Einleitungen durch ihre „Experimentierfreudigkeit“ so viel länger dauern als sonst.Was war zuerst da, der Nervige oder der Genervte?
Der Teufelskreis ist offensichtlich: Die Nervosität der Anfänger – teilweise auch nur deren pure Anwesenheit – nervt viele „Profis“. Die schlechte Stimmung steigert aber die Nervosität, wodurch sich Fehler häufen, was die Genervten noch mehr nervt. Beobachtet habe ich diese Spirale sowohl im Rettungsdienst als auch im Krankenhaus. Ich frage mich, wo sie ihren Ursprung hat und ob sie in nicht-medizinischen Berufsfeldern genauso ausgeprägt ist. Warum werden Lernende in sozialen Berufen oft derart unsozial empfangen?Zum Glück gibt es auch hier viele Ausnahmen
Die Kunst der Anfangszeit ist wohl, motivierte „Erklärbären“ zu identifizieren und deren Nähe zu suchen. Sich von dem Feuer und der Begeisterung anstecken zu lassen und alle überarbeiteten „Grumpy Cats“ nach Möglichkeit zu meiden. Meine Tage im OP hat diese Strategie jedenfalls sehr viel angenehmer gemacht.Mein Lieblingsort: der OP mit Oberarzt Moritz
Ein junger Arzt, der das Team souverän leitet, einen angenehm kumpelhaften Umgang pflegt und trotzdem viel Autorität ausstrahlt. Er findet fast jeden Tag eine Gelegenheit, meinen Wissensstand bezüglich verschiedenster anästhesiologischer Techniken abzuklopfen. Sich auftuende Lücken werden nicht durch lange Monologe gestopft, sondern sind meine Hausaufgabe für den nächsten Tag. Warum hat ausgerechnet der Oberarzt mit so vielen Zuständigkeiten und unzähligen Überstunden die Motivation, sich mit der Ausbildung von Studenten zu beschäftigen?Unerwarteter Sono-Crashkurs
Während eines sehr langen Eingriffs fragte ich Moritz nach Tipps, um mehr Orientierung beim Ultraschallen zu bekommen. Ohne Erklärungen sieht das für mich leider immer noch aus wie Kaffeesatzlesen im Schneegestöber. „Hier macht nur Übung den Meister“ – sprachs, verschwand einen Augenblick und kehrte mit einem Ultraschallgerät in den OP zurück. Gemeinsam durchleuchteten wir anschließend die Anästhesieschwester, die sich freudig zur Verfügung stellte. Bis zur Narkose-Ausleitung identifizierte ich in diesem schwarz-weißen Chaos Halsschlagader, Jugularvene, Halsmuskeln, Nervenplexus, Luftröhre und Schilddrüse – polierte also nebenher mein etwas angestaubtes Anatomie-Wissen auf.
Ich funktioniere in so einer positiven Atmosphäre besser. Da sitzt jeder venöse Zugang und sogar die Intubationen laufen ohne Schwierigkeit. Ich bin sicher, das sähen die Pflegeschülerin, der Assistenzarzt und der PJ-ler ähnlich.