Ein Patient kommt mit einem Rezept für Medikamente, die Wechselwirkungen aufweisen, in die Apotheke. Nach einem Anruf beim Arzt lässt sich alles klären – dieser reagiert sehr positiv auf unser Nachfragen. Aber das ist nicht immer so, wie folgende Beispiele veranschaulichen.
Auf dem Rezept des Patienten, der schon länger nicht mehr bei uns in der Apotheke war (ja, das kommt vor: Manchmal eckt man aus irgendeinem Grund an und dann suchen sie sich eine andere Apotheke, manchmal wechseln sie den Arzt und dann sind wir nicht mehr die nächste Apotheke auf dem Weg, manchmal machen sie einen Abstecher in die Versand-Medikation).
Jedenfalls: Ein Patient kommt mit neuem Dauerrezept für diverse Medikamente. Torasemid, Aspirin cardio, Aldactone, Amlodipin und KCl.
Logischerweise zeigt der Computer Wechselwirkungen an – dafür hätte ich in dem Fall allerdings nicht mal den Computer gebraucht. Kaliumsparendes Diuretikum (Aldactone) und dann Kalium selber. Torasemid mit dem Aspirin zeigt mir auch eine Wechselwirkung an. Da das Aspirin aber in niedriger Dosierung genommen wird, kann ich das in dem Fall ignorieren. Das mit dem Kalium, das beim Diuretikum zusätzlich noch erhöht sein kann und eine ziemlich direkte Wirkung auf das Herz haben kann, allerdings nicht.
Es folgt ein Telefonanruf beim zuständigen Arzt (da dem Patienten nicht bewusst ist, dass es da ein Problem gibt), ob das so gewollt ist. Die Interaktion ist doch eher schwerwiegend – mein liebes Programm zeigt das sogar als kontrainduziert an.
Antwort: Der Patient hat tatsächlich einen niedrigen Kaliumspiegel. Er wird auch regelmäßig gemessen, das ist schon länger so. Also soll er das Kalium dazu bekommen.
Der Arzt fand es aber sehr positiv, dass wir rückgefragt haben.
Aber nicht alle Ärzte reagieren so. Ich habe diesbezüglich mal ein paar Beispiele gesammelt, die mir auf Facebook untergekommen sind. Fast alle geschilderten Situationen gab es so oder so ähnlich auch schon bei uns.
Neue Medikation des Patienten
Situation: Der Patient soll Amlodipin zum bestehenden Simvastatin 40 mg einnehmen. Die Kombination führt zu signifikant erhöhten Blutwerten von Simvastatin (dem Cholesterinsenker). Das erhöht auch die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen wie der seltenen, aber schwerwiegenden Rhabdomyolyse – die Muskeln lösen sich auf. Die Kombination braucht also entweder eine Verringerung der Simvastatin-Dosis und/oder regelmäßige Kontrollen.
Reaktion des Arztes: „Das ist kein Problem, deswegen ändere ich das Statin nicht.“
Apotheke: „Okay, wir halten im Dossier fest, dass wir mit Ihnen gesprochen haben und Sie unseren Rat ignorieren. Und wir werden den Patienten darauf hinweisen, auf Nebenwirkungen zu achten.“
Muskelschmerzen
Situation: Ein Patient auf Atorvastatin klagt über Muskelschmerzen (siehe Problem oben). Die Apotheke rät dem Patienten, er soll unbedingt sein Blut beim Arzt testen lassen.
Der Arzt reklamiert nach dem Patientenbesuch bei ihm deswegen telefonisch in der Apotheke, es sei nicht deren Aufgabe, es handele sich um eine seltene Nebenwirkung. Die nächsten Rezepte vom Arzt sind dann aber alle für verschiedene Statine – offenbar ist er am Durchprobieren. Ja, die Werte waren wohl etwas hoch.
Allergisch auf Medikament
Situation: Eine Alzheimer-Patientin reagiert auf ein vom Arzt verschriebenes Medikament allergisch.
Die Apotheke ruft beim Arzt an und weist auf die Allergie der Patientin hin und dass dieser Punkt im Patienten-Dossier festgehalten wurde.
Reaktion des Arztes: „Weshalb hat der Patient das nicht bei ihm erwähnt?“
Apotheke: „Nun, sie hat Alzheimer und es könnte sein, dass sie sich vielleicht nicht mehr an alles in ihrer Medikationsgeschichte erinnern kann – aber die Familienangehörigen haben das so mitgeteilt bei der Entlassung aus dem Spital letztens.“
Arzt: „Sie soll das trotzdem nehmen und halt das Antiallergikum Cetirizin dazu.“
Die Apotheke rät stark von diesem Vorgehen ab.
Der Arzt besteht darauf.
Der für die Patientin zuständigen Betreuungsperson wurde das mitgeteilt – sie haben dann den Arzt gewechselt.
Mit geschwollenen Lippen in die Notfallambulanz
Situation: Eine Patientin leidet an einem Angioödem, nachdem sie Co-Lisinopril bekommen hat. Ihre Lippen hatten die Größe von kleinen Bananen.
Die Apotheke informiert den zuständigen Arzt.
Reaktion des Arztes: Er ist der Meinung, dass die Apotheke sich irrt. Dies sei kein Angioödem, die Patientin solle das Medikament weiter einnehmen.
Ratet mal, wer später in der Notaufnahme landete?
Eine ganze Pulle Insulin
Situation: Dem Patienten wurden 1.000 Einheiten Lantus pro Tag verschrieben – das entspricht einem ganzen Fläschchen des Insulins.
Die Apotheke ruft den zuständigen Arzt an, abzuklären, ob das so korrekt ist.
Praxisassistetin: „Ich weiß nicht, aber das ist das, was der Arzt aufgeschrieben hat.“
Apotheke: „Und ich sage Ihnen, das ist nicht richtig, so eine Dosis ist tödlich. Gehen Sie und fragen noch einmal nach.“
Natürlich wurde die Dosis dann angepasst.
Apotheker telefonieren nicht aus Spaß an der Freude
Nicht immer muss man wegen eines Problems den Arzt anrufen. Manches lässt sich auch in direktem Patientenkontakt klären. Vieles ist dem Arzt auch schon bewusst und manchmal ist es auch gewollt so verschrieben. Allerdings sollte dem Arzt bewusst sein, auch wenn es manche nervt, dass die Apotheke nicht grundlos und aus reiner Freude an der Sache telefoniert.
Und dass wir was Medikamente angeht doch mehr als nur ein bisschen Ahnung haben. Es ist, was wir studiert haben: Medikamente, ihre Wirkung, ihre Anwendung, ihre Nebenwirkungen und Wechselwirkungen.
Wenn wir anrufen, um etwas abzuklären, das uns aufgefallen ist, dann erwarte ich eigentlich, dass diese Hinweise auch ernst genommen werden. Und ich freue mich (auch wenn der Anruf wie in meinem Fall letztendlich nicht nötig war), wenn das Gespräch gut ankommt.