Jacqueline Chantalle ist in der Notaufnahme. 13 Jahre alt, beim Rollschuhlaufen gestürzt. Multiple Schürfwunden. Alle Knochen sind heile. Die Bursa präpatellaris grinst mich an, glänzend, im Dreck liegend. Einiges an Dreck. Die Bursa muss eigentlich raus. Erst mal sauber machen, um sich das Desaster genauer anzuschauen.
Kommt Jacqueline gar nicht in die Tüte. Kein Desinfizieren, kein Spülen, kein Säubern und sowieso keine Spritze. Heulkrampf.
Mama ist heillos überfordert. Wenn Jacqueline nicht mag, dann lassen wir das doch, oder? Klar, kann man. Geht bei einigen traumatisch eröffneten Bursae auch gut. Heilen ab und fertig – wenn man alles schön sauber macht und spült. Abwarten und operieren, sollte sie doch hochgehen. Die hier sieht mir nicht danach aus. Die schreit nach Dreck, Eiter, Entzündung. Vor allem, wenn sie in dem Dreck liegen bleibt.
Ich erkläre ganz kurz. Entzündung, Rötung, Schmerzen, Eiter, Narbe, Nadel, Narkose, Messer, Antibiose, etc. Die Liste wird perspektivisch eher länger als kürzer. Zum jetzigen Zeitpunkt steht auf der Liste noch nicht so viel. Wenigstens mal genauer anschauen und die Wunde säubern.
Jacqueline will nicht. Mama zieht die Schultern nach oben. Wenn sie doch nicht mag, kann ich das ja auch nicht ändern. Ähm, räusper. Wie ist es denn mit dem Tetanusschutz? Nicht vollständig. Jacqueline war ja schon als Baby so eigen und hat sich so heftig gewehrt. Da wollte Mama der lieben Jacqueline die Spritze nicht auch noch antun. Aha.
Jetzt will Jacqueline auch nicht. Keine Spritze. Absolut gar nicht, nicht in einen Arm, nicht in den Po, nicht in ihre Nähe. Da hilft auch von der Mama kein „Bitte, Jacqueline, du bekommst das neue Handy auch schon jetzt und nicht erst zum Geburtstag.“
So passiert es, dass Patientin Jacqueline mit ihrer Mama die Notaufnahme verlässt, ohne dass ich sie auch nur einmal angefasst habe. Ein Haufen Bürokratie, jede Menge Zettelkram. Arztbrief an den armen Hausarzt und niedergelassenen Chirurgen, schriftliche und mündliche Aufklärung inklusive Beendigung der Behandlung gegen ärztlichen Rat.
Der Nabel der Welt. Arme Mama. Arme Jacqueline.