Gibt es beim Lebensalter eine Höchstgrenze? Das behaupten Forscher in einer aktuellen Studie. Kollegen sparen nicht an Kritik. Schon vor 100 Jahren hatten Skeptiker angenommen, dass die Lebenserwartung niemals 65 Jahre überschreiten werde.
Ende November feiert Emma Martina Luigia Morano-Martinuzzi ihren 117. Geburtstag. Die Italienerin gilt als älteste, noch lebende Person mit gut dokumentiertem Geburtsdatum. Sie hat vielleicht noch etliche Jahre vor sich. Jeanne Louise Calment (1875 bis 1997) wurde 122. Regelmäßig Gebäck mit Milch, ein rohes und ein gekochtes Ei, Pasta und Fleisch: An Morano-Martinuzzis Ratschlägen, wie sie das biblische Alter erreicht hat, zweifeln Wissenschaftler. Sie fragen sich, ob es eine biologische Grenze des Alters gibt.
In den letzten 125 Jahren hat sich die Lebenserwartung quasi verdoppelt. Lag der Wert für Neugeborene 1895 noch bei 40 Jahren, sind es heute 78 (Männer) beziehungsweise 83 Jahre (Frauen). Ein Ende des Trends zeichnet sich derzeit nicht ab. Gibt es eine Obergrenze? Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik
Mit dieser Frage hat sich Jan Vijg vom Albert Einstein College of Medicine in New York befasst. Er wertete zusammen mit Kollegen Geburts- und Sterbedaten aus der Human Mortality Database im Detail aus. Viele „Supercentenarians“ stammen aus Japan, Frankreich, Großbritannien und den USA. „Demographen und Biologen haben argumentiert, es gebe keinen Grund anzunehmen, dass der derzeitige Anstieg der maximalen Lebenspanne demnächst endet“, erklärt Vijg. „Aber unsere Daten sprechen dafür, dass das bereits geschehen ist.“ Er fand heraus, dass das Höchstalter bis Mitte der 1990er-Jahre um jährlich 0,15 Jahre gestiegen ist. Seither verringert sich der Wert um 0,28 Jahre pro Jahr. Diese Erkenntnis verifizierten Forscher anhand von Daten der Gerontology Research Group. Auch hier zeigte sich zwischen 1972 und 1994 ein jährlicher Anstieg des maximalen Alters um 0,12 Jahre. Anschließend verringerte sich der Wert um 0,14 Jahre pro Jahr. Eine Erklärung bleibt Vijg aber schuldig. Für Emma Martina Luigia Morano-Martinuzzi (116) prognostizieren Forscher, sie werde kaum älter als 122. Hier betrage die Chance weniger als eins zu 10.000. Als maximale Lebenserwartung geben sie für alle Menschen 113,1 bis 116,7 Jahre an. Ausreißer sind möglich, aber statistisch wenig wahrscheinlich. Bleibt als Fazit: „Weitere Fortschritte bei der Bekämpfung von Infektions- und chronischen Krankheiten können die durchschnittliche Lebenserwartung weiter anheben, aber nicht die maximale Lebenserwartung“, schreiben die Autoren.
Diese Ansicht teilt Professor Dr. James W. Vaupel nicht. Der Direktor des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock übt schwerwiegende Kritik am Paper. „Es ist entmutigend, wie oft der gleiche Fehler in der Wissenschaft gemacht und in angesehenen Fachjournalen publiziert werden kann“, so Vaupel. Er moniert die „selektive Nutzung von Daten“ und spricht von „einseitigen Schlüssen“. Hinweise auf biologische Obergrenzen des Lebens findet der Experte jedenfalls nicht. Er verweist auf ähnliche Fehlvorstellungen aus früheren Zeiten: „Vor 100 Jahren nahm man an, dass die durchschnittliche Lebenserwartung niemals 65 Jahre überschreiten werde. Als dann der Gegenbeweis sichtbar wurde, wurde die Grenze wieder und wieder nach oben verschoben.“ Richard Faragher, Biogerontologe an der University of Brighton, verweist auf molekulare Möglichkeiten. „Natürlich gibt es Grenzen für die menschliche Lebensdauer, wenn wir nicht eingreifen“, so Faragher. Bei Würmern, Mäusen oder Fliegen sei es schon gelungen, diesen Wert durch die Suppression verschiedener Gene zu erhöhen. Ähnliche Effekte hatten niedrigkalorische Diäten. Bei der menschlichen Alterung spielen vor allem Telomerasen eine wichtige Rolle.
Zum Hintergrund: Telomere stabilisieren als Strukturelemente die DNA. Sie verkürzen sich bei jeder Zellteilung. Jenseits einer kritischen Länge geht die Zelle zu Grunde. Telomerasen wirken diesem Phänomen entgegen, sie machen Zellen theoretisch unsterblich. Schalteten Forscher in Mäusen Telomerasen aus, alterten die Tiere rasch. Die Aktivierung oder Reaktivierung führte zur beachtlichen Verjüngung der Nager. Sie konnten plötzlich Gerüche mit einer Präzision wahrnehmen, die normalerweise nur bei Jungtieren auftritt. Hai Yan aus Durham zeigte, welche Bedeutung das TERT-Gen (Telomerase reverse Transkriptase) in diesem Zusammenhang hat. Es kommt im Erbgut aller Zellen vor. Viele Tumore, beispielsweise Glioblastome, aktivieren TERT-Promotorgene und sichern sich so entscheidende Vorteile. Un Felix Sahm, Heidelberg, fand Mutationen im TERT-Promotor kürzlich bei Meningeomen. Diese Studien zeigen, warum viele Forscher Zweifel haben, ob Telomerase der Schlüssel sind, um Alterungsprozesse zu verstehen. Verlängert ihre Aktivierung das Leben – oder werden Krebserkrankungen ausgelöst? Immerhin scheint Sport die Telomerase-Aktivität ebenfalls zu beeinflussen. Plötzlich lässt sich eine längst bekannte Tatsache auch molekular begründen.