Ärzte gehören gleich nach den Lehrern zu den am stärksten von einem Burnout gefährdeten Berufsgruppen. Eine Hauptursache dafür ist die steigende Belastung. Schuld daran sind aber nicht die Patienten, sondern die kollidierenden Anforderungen des Gesundheitswesens mit der Arbeitswelt der Ärzte. Das bleibt nicht ohne Folgen.
Ärzte leiden immer häufiger unter Burnout. So oder ähnlich lautete die Titelzeile einer neuen wissenschaftlichen Publikation, welche mir vor einiger Zeit im Netz über den Weg lief. Das interessierte mich. Also begann ich, nachzuforschen.
Allerdings musste ich sehr schnell feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, Ansprechpartner für dieses Thema zu finden. Ist doch komisch, oder? Zum einen sollen ja viele Ärzte betroffen sein. Zum anderen gibt es aber kaum belastbare Zahlen oder Auskunftswillige. So fühlte ich mich schließlich sogar noch stärker angespornt, hier einmal etwas weiter nachzubohren.
„Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust“
Burnout wird zum einen durch zwischenmenschliche Konflikte am Arbeitsplatz gefördert. Zum anderen aber, und das ist der eigentlich wichtigere Grund für diesen Aufschrei von Seele und Körper, ist das Ausgebranntsein vor allem ein Zeichen für den inneren Konflikt eines Menschen, zwischen der eigenen Lebensplanung und der Arbeitszentriertheit.
Der für die Erholung und Entspannung so wichtige Rückzugsraum „Freizeit“ kann letztenendes sogar gänzlich ausgehebelt werden, infolge des schier endlos erscheinenden Wechsels zwischen normalen Arbeitszeiten, Rufbereitschaft, Nachtdienst, Notdienst und Wochenenddiensten. Der Arzt mit Leib und Seele wird anfangs noch alles erfüllen wollen – schließlich liebt er ja seinen Beruf. Doch mehr und mehr schwächen die inneren Konflikte die Kräfte der Betroffenen und es entsteht ein chronischer Erschöpfungszustand.
Dieser kann am Ende sogar dazu führen, dass das persönliche Umfeld, die Familie und der Freundeskreis ebenfalls ausbrennen. Es kommt zu Beziehungsstörungen und zum sozialen Rückzug. Wahrscheinlich getrieben vom eigenen Ehrgeiz und von gesellschaftlichen Idealbildern strebt der Arzt weiter die Perfektion an, bis nichts mehr geht und der Organismus rebelliert. Das kann zu emotionaler Erschöpfung, Depersonalisierung (= Gleichgültigkeit anderen gegenüber) sowie einem verstärkten Fokus auf die Misserfolge des Alltags führen.
Prävalenzen sind schwer zu erfassen
Verlässliche Statistiken dazu, wie häufig das Problem bei Ärzten in Deutschland wirklich ist, gibt es derzeit nicht. „Dies fängt ja bereits damit an, dass das Burnout an sich keine eigenständige, international akzeptierte Krankheit ist. Wie also ein Burnout in Studien klar definieren?“, sagt Prof. Mathias Berger, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg. „Burnout ist in erster Linie ein Risikozustand. Gemeint ist dabei die Überlastung durch Arbeit, die zu chronischen Stressbelastungen führt und möglicherweise zu Krankheiten, zum Beispiel chronischen Infekten, Tinnitus, Bluthochdruck oder Depressionen, sofern der Betroffene nicht für sich Sorge trägt“, so Berger weiter.
Matthias Weigl, Psychologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ergänzt: „In Studien berichten zwischen 20 und 30 Prozent der befragten Ärzte von Werten oder Symptomatiken, die auf ein Burnout hinweisen könnten. Diese Anteile variieren jedoch von Studie zu Studie sehr stark. Das hängt vor allem davon ab, welche Fachrichtungen befragt werden; Ärzte in der Akutversorgung tendieren zu etwas höheren Werten. Ferner ist bedeutsam, welche Altersgruppen befragt werden, denn besonders im ersten Berufsjahrzehnt sind die Werte teilweise höher. Und schließlich hängt das Ergebnis davon ab, welche Instrumente für die Datenerhebung genutzt werden.“
Im internationalen Vergleich lassen sich allerdings ganz ähnliche Prävalenzen finden. So zeigte eine Studie aus British Columbia (USA), dass dort bis zu 46 % der Ärzte wenigstens unter einem der möglichen Anzeichen für ein Burnout leiden. Ebenso haben bis zu einem Drittel der Ärzte in Großbritannien Symptome für das Ausgebranntsein. Interessant ist darüber hinaus eine US-amerikanische Erhebung aus dem Jahr 2014. Darin wurden bestimmte Fachgruppen der Ärzteschaft auf ihre Burnout-Prävalenzen hin untersucht – mit spannenden Ergebnissen:
Ø Urologie (63,6 %),
Ø Radiologie (61,4 %),
Ø Dermatologie (56,5 %),
Ø Pathologie (52,5 %),
Ø Kinderheilkunde (46,3 %).
Burnout – und dann?
„Wir zeigen immer wieder mit dem erhobenen Finger auf die defizitären Arbeitsbedingungen in Krankenhaus und Arztpraxis. Ein Gutteil der Studien gibt uns dabei allerdings recht. Das Risiko für Burnout und Depression sinkt deutlich, wenn das Arbeitsumfeld gut ist. Hingegen sind hohe administrative sowie allgemeine und psychosoziale Arbeitsbelastungen, geringe Wertschätzung, eine hohe wöchentliche Arbeitszeit, schlechte Interaktionen mit dem (Krankenpflege-)Personal oder Kollegen, Störungen und Konflikte zwischen Beruf und Familie wiederkehrende Motive für Burnout bei Ärzten“, fasst Dr. Weigl das Problem zusammen. Doch was soll der betroffene Arzt tun? Wohin kann er sich wenden, bevor eine handfeste Depression entsteht?
„Es gibt Kliniken, die sich auf kranke Ärzte als Klientel spezialisiert haben, beispielsweise treten die Obernberg-Kliniken hier sehr öffentlichkeitswirksam auf“, weiß Weigl. Jedoch gibt es gerade im Umfeld jüngerer Ärzte, die in Praxen oder Kliniken arbeiten, kaum erreichbare und geeignete Angebote. Häufig spielt neben der Angst vor dem Versagen im Kollegium bzw. vor dem Chef auch das Stigma einer psychischen Erkrankung eine Rolle, weshalb keine Hilfe gesucht wird.
„Um Burnout langfristig zu vermeiden, ist es wichtig sowohl verhaltenspräventive als auch verhältnispräventive Maßnahmen zu kennen und umzusetzen. Die Verhaltensprävention beinhaltet beispielsweise, sich bewusst mehr Zeit für Freizeit und soziales Miteinander einzuräumen oder Entspannungsverfahren zu erlernen“, so Berger. Allerdings funktioniert die Verhaltensprävention langfristig nicht, wenn die Arbeitsbedingungen unerträglich sind; dann geht es nicht ohne die in diesen Situationen viel wichtigere Verhältnisprävention.
„Die Verhältnisprävention zielt vor allem auf das Arbeitsumfeld. Hier kommt es darauf an, sich selbst vor überlastenden, krank machenden Arbeitssituationen zu schützen. Helfen Gespräche mit Kollegen und Vorgestzten nicht, bleiben in Kliniken der Personal- oder der Betriebsrat und außerhalb des eigenen Arbeitsumfeldes der Marburger Bund“, führt Berger aus. Die Verhältnisprävention konzentriert sich dabei sehr viel mehr auf die sozialpolitischen und verwaltungstechnischen Grundvoraussetzungen für die ärztliche Arbeit und ist daher in der Regel auch als eine gemeinschaftliche Aufgabe des Ärzteteams anzusehen.
Krankschreibungen aufgrund der Psyche nehmen allgemein zu
Aber nicht nur Ärzte leiden unter den psychischen Belastungen des Arbeitsalltags. Ganz allgemein nimmt die Prävalenz psychischer Erkrankungen als Ursache für Arbeitsunfähigkeit seit Jahren weiter zu. Hier gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Bei Frauen wurden 2016 rund 60 Prozent mehr Fehltage (311 Ausfallstage pro einhundert Versicherte) wegen psychischer Erkrankungen diagnostiziert als bei Männern (191 Ausfalltage). Für Frauen belegten damit seelische Leiden erstmals den ersten Platz, gefolgt von muskuloskelettalen Erkrankungen. Allerdings wurde die Diagnose Burnout nach einem Höchststand im Jahr 2010 anschließend deutlich weniger häufig gestellt.
Quellen:
Ärzteblatt „Psychische Erkrankungen: Fehltage erreichen Höchststand“ vom 27.01.2017
Interview mit PD Dr. Matthias Weigl vom 10.02.2017
Kumar S. „Burnout and Doctors: Prevalence, Prevention and Intervention“, Healthcare 2016; 4, 37: doi:10.3390/healthcare4030037
Rahner E. „Das Burnout-Syndrom bei Ärzten“; Dissertation, Berlin 2011
Telefoninterview mit Prof. Dr. med. Mathias Berger vom 15.01.2017