Selbstverständlich kann man, wie dies das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) tut, nach grob geschätzten Fallzahlen von etwa zwei Millionen sogenannter 'ambulant-sensitiver Krankenhausfälle' (ASK-Fälle) pro Jahr ausgehen. Aber muss man sich unbedingt mit einer klassischen ex-post-Hypothese produzieren, nachdem die Patienten bereits mehr oder weniger erfolgreich stationär behandelt wurden.
Und genau das ist der springende Punkt. Wer von seinem vermutlich nach Feng Shui ausgerichteten Büro-Schreibtisch schwere, z. T. lebensbedrohlichen Krankheitsbildern mit u. U. hoher Mortalität mit ein paar 'clics' an seinem PC herbeifantasiert, scheitert schon an der Mischung von ernsten oder harmlosen Krankheiteten bzw. Befindlichkeitsstörungen.
Krankheitsbilder breit gestreut
Bei "Herzinsuffizienz, Bronchitis, COPD, Bronchiektasie, Psychiatrischen und Verhaltensstörungen durch Alkohol oder Opioide, Ischämischen Herzkrankheiten, anderen Krankheiten des Kreislaufsystems, Grippe und Pneumonie, Rückenschmerzen, Dorsopathien, Bluthochdruck und Folgekrankheiten, Infektiösen Darmkrankheiten, nicht-infektiösen Krankheiten des Gastrointestinal-(GI)-Traktes" Vgl. http://www.aok-gesundheitspartner.de/he/arztundpraxis/prodialog/index_18126.html
sollen angeblich in 61 bis 83 Prozent stationäre Fehl-Allokationen unserer Patientinnen und Patienten im Krankenhaus vorliegen. Doch da müssten sich die im Nachhinein so neunmalklugen WIdO-Autoren ernsthaft fragen lassen, ob sie sich selbst denn auch ohne jeglichen medizinischen Beistand durch ihre Sozialversicherungs-Fachangestellten in der AOK behandeln lassen möchten, oder lieber doch durch professionelle ärztlich-pflegerische Fachkräfte?
Hitliste der Krankenhausfälle
Fragwürdige wissenschaftliche Quelle?
Sich dann auch noch als WIdO hinzustellen und auf eine pseudowissenschaftliche Studie mit dem Titel: "Which hospitalisations are ambulatory care-sensitive, to what degree, and how could the rates be reduced? Results of a group consensus study in Germany" von Leonie Sundmacher et al. zu berufen, bei dem das Ergebnis bereits im Titel feststand, ist die dazu notwendige Hybris, gepaart mit Versorgungs- und Medizin-Bildungsferne, vollends erreicht. Denn wie heißt es dort so schön: "The most often mentioned strategy for reducing ACSH [hospitalisations for ambulatory care-sensitive conditions] was ‘improving continuous care’." "...ambulatory care-sensitive conditions (ACSC) is that effective treatment of acute conditions, good management of chronic illnesses and immunisation against infectious diseases can reduce the risk of a specified set of hospitalisations." "Conclusion - There are several good reasons why process indicators prevail in the assessment of ambulatory care." Als Abstract http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0168851015001943
Deutsche Kurzfassung
Auch ohne langwierige Übersetzung heißt das auf Deutsch, dass nach Meinung der AOK-Strategen und der Sundmacher-Studie ohne weiteres 61 bis 83 Prozent aller Krankenhausfälle durch "Verbesserung der kontinuierlichen Versorgung/Krankenpflege" ersetzt werden könnten. Aber ist das wirklich unter Budgetierung, Rationierung und Wirtschaftlichkeits-Gebot nach § 12 SGB V in der ambulanten ärztlichen und pflegerischen Versorgung zu erreichen? Ist es wirklich hilfreich und zielführend, den ambulanten gegen den stationären Bereich auszuspielen und den ärztlichen gegen den pflegerischen Bereich auszutricksen?
Abstimmung mit den Füßen?
Machen wir uns nichts vor: Es gibt bei unseren Patientinnen und Patienten mit kräftiger Unterstützung aller GKV-Krankenkassen und ihrer begeisterungsfähigen Hotlines eine Abstimmung mit den Füßen! Nämlich in jedem vermeintlichen oder tatsächlichen Akutfall ungeniert das nächstgelegene Krankenhaus bis zur Maximalversorgung aufzusuchen, um vorbei an überfüllten Wartezimmern der Vertragsärzte im haus- und fachärztlichen Bereich nach entsprechendem "Pressing" in den Klinikambulanzen unter stationären Bedingungen von allen verfügbaren Fachrichtungen befragt, systematisch untersucht, differenzialdiagnostisch abgeklärt und je nach Bettenverfügbarkeit stationär therapiert zu werden?
Paradoxe Priorisierung der stationären Medizin
Stationär-klinische Fehlallokationen werden besonders von denen beklagt, die sich mit den eigentlichen Ursachen und Hintergründen gar nicht ausreichend medizinisch qualifiziert auseinandersetzen wollen oder können. Und im Zweifel mit Haus- und Facharzt-"Bashing" ihre Versicherten direkt in die Kliniken treiben.
Quellen, die gar keine sind?
"Which hospitalisations are ambulatory care-sensitive, to what degree, and how could the rates be reduced? Results of a group consensus study in Germany" stammt von Leonie Sundmacher et al. Volltext: http://www.healthpolicyjrnl.com/article/S0168-8510(15)00194-3/abstract#/article/S0168-8510(15)00194-3/fulltext Frau Prof. Dr. Leonie Sundmacher leitet seit Oktober 2013 den Fachbereich Health Services Management an der Fakultät für Betriebswirtschaft. Sie studierte Volkswirtschaftslehre, Gesundheitsökonomie und Politikwissenschaft an der University of York und an der Freien Universität Berlin und promovierte im Jahr 2010 im Fach Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Universität Berlin. Von 2012 bis 2013 besetzte Leonie Sundmacher die Juniorprofessur für das Fachgebiet Versorgungsforschung und Qualitätsmanagement im ambulanten Sektor an der Technischen Universität Berlin. Ihr Forschungsschwerpunkt ist Management im Gesundheitswesen, insbesondere intersektorales Qualitätsmanagement und regionale Versorgungsforschung.http://www.hsm.bwl.uni-muenchen.de/personen/professoren/sundmacher/index.html Von medizinischer Expertise, ob stationäre oder ambulante Behandlungen wirklich notwendig, indiziert, erforderlich und/oder leitliniengerecht gewesen wären, keine Spur. Nur der/das Primat der Ökonomie zählt?
Berliner Kinderreim
""Hättste Hättste ging in' Laden, wollt' 'nen Sack voll Hättste haben. Hättste aber gab es nicht, Hättste Hättste ärgert sich!"