Die schlechte Nachricht: Ich werde sterben, wahrscheinlich sogar jung. Die Gute: es wird schnell gehen, denn ich habe eine diagonale Ohrläppchenfalte. Es hieß einmal, dass dieser Todesbote eine über 70-prozentige Sensitivität für eine koronare Herzerkrankung hätte.
Daher wird mich mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Herzinfarkt aus dieser Welt reißen, falls ich nicht vorher Opfer eines Gewaltverbrechens oder eines Verkehrsunfalls werde. It’s true. Everyone knows it.
Viel hilft viel
Um meine Zeit auf dieser Welt zu verlängern, habe ich die letzten Jahre präventiv Rotwein getrunken. Viel Rotwein. Täglich das empfohlene Glas. Eigentlich mag ich gar nicht mal so gerne Alkohol und wenn, dann bitte etwas buntes mit Schirmchen, gerne auch mit einer brennenden Wunderkerze, während rhythmische Musik im Hintergrund ... ich schweife ab. Das mit dem Rotwein erwies sich als falsch, sodass ich wieder zu bunten Getränken mit Schirmchen übergehen konnte.
Ich habe Fleisch gegessen, viel Fleisch gegessen. Nachdem ich eine Zeit lang Vegetarier war und auf jede Form von schädlichen tierischen Proteinen inklusive der darin enthaltenen Stresshormone, Antibiotika, Wachstumsbeschleunigern und Muskelerkrankungen verzichtet habe, bin ich mit meinem griechischen Mann in seine Heimat zu seiner Familie geflogen. Wer einmal „My Big Fat Greek Wedding“ gesehen hat, der weiß, warum ich als überzeugter Fleischarier wiederkam.
Kebab oder Döner
Das war wohl eine glückliche Fügung, denn gar nicht viel später hörte ich das erste Mal von Atkins. Heutzutage ist es für jede 17-jährige selbstverständlich, keinerlei Kohlenhydrate zu sich zu nehmen. Damals war es eine Sensation. Es war schlichtweg egal, ob es sich um feinstes Filet eines Wagyu-Rindes oder um einen Döner ohne Kebab (sprachlich korrekt müsste es wohl „Pide“ heißen, gemeint ist jedenfalls das Fladenbrot) handelte – Hauptsache pures Fleisch in rauen Mengen. Alles konnte ohne schlechtes Gewissen genossen werden, bis auf die Sache mit den Treibhausgasen und den anderen Aspekten, die mich jetzt aber nicht so persönlich und unmittelbar betrafen wie diese tödliche Ohrfalte.
Keiner verstand warum, aber das böse Cholesterin sank, entgegen der damalig vorherrschenden Lehrmeinung. Atkins hat damit wohl mein Leben um einige Jahre verlängert und mir wichtige Sympathiepunkte bei meiner Großschwiegermutter (heißt das so?) eingetragen. Angeblich ist jetzt alles wieder anders und gerade der Verzehr von Kebab (gemeint auch hier das Brot) statt des Döners wird wieder postuliert.
Aber selbst die einfache Vorgabe, auf sein Gewicht zu achten, ist komplizierter als gedacht. Der leicht Übergewichtige lebt länger und gesünder als der leicht Untergewichtige und ich will ja länger leben und nicht bei „Germanys Next Top Doctor“ mitmachen.
Führend bei den Aqua-lympics
Von den Ratschlägen, die einem ein Internist und in meinem Fall der Kardiologe mitgeben kann, bleiben noch: viel und regelmäßig bewegen, dafür aber gesättigtes Fett, Nikotin und zu viel Salz vermeiden.
Mit der Bewegung bin ich etwas vorsichtig, da mir die Geschichte von Pheidippides, der nach der Schlacht von Marathon nach Athen lief und an Erschöpfung auf dem Areopag starb, bekannt ist. Immer wieder kommt es zu solchen Vorfällen bei Marathoneinläufen, sodass ich lieber zum Aquafit gehe. Das hat gleich mehrere Vorteile. Sollte mich ein akutes kardiales Ereignis beim Aquafit treffen, ist mein Körper durch das Wasser gleich runtergekühlt und meine Überlebenswahrscheinlichkeit größer als nach einem Zusammenbruch beim Iron Man auf Hawai bei tropischen Temperaturen. Zudem ist es unglaublich motivierend, ungefähr 20 Jahre jünger als der Rest der Gruppe zu sein und bei allen Übungen herauszuragen.
An Zigaretten war ich nie interessiert, von dem ein oder anderem Zigarillo musste ich mich übergeben, sodass auch das der Vergangenheit angehört.
Die weise Königstochter
Bleibt also nur noch das Salz. Legionäre erhielten ihren Sold in Salz, dem weißen Gold. Homer nannte es „die göttliche Substanz“. Maruschka, die jüngste Tochter eines greisen Königs, erwiderte auf seine Frage, wie sehr sie ihren Vater lieben würde: „So sehr wie Salz“. Erst als das gesamte Salz mitsamt der vertriebenen Tochter verschwand, erkannte der Vater seinen großen Fehler, denn alle Bewohner des Königreiches wurden durch den Salzmangel schwach und krank.
Und könnte es mit dem Salz nicht tatsächlich so sein? So wie mit dem Sport, dem Gewicht, dem Fleisch, den Kohlenhydraten und vielen anderen Dingen? Die Zigaretten mal außen vor gelassen. Könnte nicht einfach das Mittelmaß der Weg zum Ziel sein? Das Leben als eine einzige U-Kurve? Zu viel ist schlecht, zu wenig aber auch?
Weiter im Text für medizinisch Interessierte und andere Hypochonder
Lange hat es gedauert einen Test herzustellen, der bei jedem die individuelle Salzempfindlichkeit bestimmen kann. Nun ist er da. An die eigene Salzempfindlichkeit angepasster Salzkonsum soll den Blutdruck derart beeinflussen können, dass man sogar auch auf blutdrucksenkende Medikamente verzichten kann.
Da habe ich mich doch gleich gefragt, ob das im Umkehrschluß bedeutet, dass der Salzunempfindliche sich in Salz aufwiegen lassen kann, ohne dass es ihm schadet? Zumindest für den Blutdruck.
Bedeutet es, dass der Salzempfindliche mal hier und mal da auf einen Blutdrucksenker verzichten kann, wenn er seinen Salzkonsum gen Null fährt? Darauf wird der eine oder andere bestimmt schon hoffen. Unbedingt wünschenswert wäre es, wenn dadurch das fünfte oder sechste Medikament verhindert werden könnte oder der Test uns erklären würde, warum manch hoher Blutdruck sich gegen jede Form der Therapie wehrt.
Unglücklich wäre es, wenn der eine oder andere Blutdruckgeplagte so versucht, bewährte Medikamentenkombinationen zu reduzieren, die eigentlich zum Ziel hatten, einen weiteren Myokardinfakt zu verhindern bzw. hinauszuzögern oder einfach nur die Herzkraft zu stärken und weniger der Blutdrucksenkung galten.
Ich bin gespannt, was daraus wird, ob dieser Test den Einzug in den klinischen Alltag findet und wie Patienten und Kollegen diesen gebrauchen werden. Oder ob er, wie viele andere Ansätze, erfolgsversprechend schien, den Erwartungen aber nie standhalten konnte.
Vielleicht sind die ganzen oben genannten Ratschläge zur Herzgesundheit und Blutdruckregulation nur ein kleines Puzzelstück und Ansätze wie dieser hier zur Arteriosklerose wesentlich vielversprechender.
Bis dahin sollte man dringend auf die Wahl seiner Eltern achtgeben, um manch deformiertem Ohr entkommen zu können.
Bildquelle (Außenseite): Karyn Christner, flickr