Sich in eine neue Praxis einzuarbeiten, ist nie einfach... wenn dann auch noch eine fremde Sprache und ein fremdes System dazu kommen, wird es richtig kompliziert.
Und dann war er da, der erste Arbeitstag... und ich fühlte mich wie frisch von der Uni: thoeretisch kann man alles (oder glaubte das zumindest bis) aber praktisch ist dann plötzlich alles anders.
Die Sprache bereitete unerwartete (oder zumindest deutlich mehr als erwartete) Probleme: Englisch, fließend, wie war das doch gleich? Im Patientenkontakt fehlten plötzlich mitten im Satz entscheidende Vokabeln, die Nervosität ließ mich ohnehin leicht stottern, und der neuseeländisch Akzent ist eine ganz spezielle Hausnummer... bei einigen Patienten kamen mir echte Zweifel, ob es sich überhaupt noch um Englisch handelte. Also hangelte ich mich mit vielen "äh"s und "ööööhm"s durch die Sprechstunden, auch mal mit Händen und Füßen oder mit einer kleinen Zeichnung, wenn ich so gar nicht weiterkam. Die Patienten sahen es erstaunlich gelassen, erkundigten sich freundlich und verständnisvoll, wo ich denn herkäme und rieten mit mir zusammen medizinische Fachausdrücke.
Besonders viel Zeit kostete mich immer wieder das Computersystem, vor allem, wenn es um Verschreibungen ging. Obwohl ich glaubte, das Programm verstanden zu haben, verweigerte es mir mit größter Hartnäckigkeit meine Verordnungen. Entweder gab es die Medikamente nicht, die ich verschreiben wollte, oder es gab sie, aber ich hatte sie falsch buchstabiert, und wenn ich sie dann endlich gefunden hatte, stellte sich heraus, dass sie nicht subventioniert waren und ich musste eine Alternative finden, um den Patienten keine zusätzlichen Kosten zu verursachen. Auch kam mir sehr schnell der Verdacht, dass die Guidelines, nach denen verschrieben wurde, nicht die selben waren wie zu Hause. Naiv, wie ich war, hatte ich angenommen, dass Guidelines auf EBM basierend international mehr oder weniger gleich sein müssten. Offenbar hatte ich mich geirrt, denn ich bekam gleich mehrere Anrufe von der örtlichen Apotheke, die sicher gehen wollte, dass ich das wirklich so verschreiben wollte. Ich war mehr als nur leicht verunsichert.
Völlig ahnungslos war ich allerdings, wenn es um Überweisungen ging. Welche Spezialisten in der Gegend arbeiteten, wie ich die Patienten zu überweisen hatte und wie lange es dauern würde, bis ein Termin zu stande käme, hatte mir niemand erklärt. Ich setzte die Punkte auf die immer länger werdende Liste mit Dingen, die ich meine Kollegen würde fragen müssen.
Und natürlich waren da noch die ganzen anderen Kleinigkeiten, die einem den Alltag in einer neuen Praxis erschweren: wo finde ich Ersatzbatterien für mein Otoskop? Wohin mit den gebrauchten Instrumenten? Welche der mindestens sechs Krankenschwestern kann ich ansprechen, wenn ich ein EKG brauche? Wo bekommt mein Patient Krücken her? Muss ich es irgendwo vermerken, wenn ich Medikamente aus der Reserve nehme? Wo ist die Reserve überhaupt? Und wer hat die Schlüssel zum Betäubungsmittelschrank? Fragen über Fragen...
Glücklicherweise waren alle, wirklich das komplette Team, wunderbar hilfsbereit. Egal, wie oft ich auf dem Gang herumlungerte und egal, wie dumm die Fragen waren: nicht einmal wurde ich angeblafft oder mir ein genervter Blick zugeworfen. Ich muss ein paar mal wirklich wie leicht minderbemittelt daher gekommen sein, aber die Abkürzungen für Fachtermini sind leider auch nicht die selben... ich musste also andauernd bitten, es für mich auszusprechen, um Missverständnisse zu vermeiden. Einiges war einfach, FA vs AF, COPD vs BPCO kann man durch etwas Buchstabenschieben noch leicht erraten, aber wofür stand bitte POAC, WINZ, SOB und vURTI (nein, nicht Urtikaria...).
Kurzum, nach einer Stunde Sprechstunde hatte ich bereits eine halbe Stunde Verspätung aufgebaut.
Als ich nachmittags (zum Glück war mein erster Tag nur ein halber gewesen) die Praxis nach einer zusätzlichen Stunde nachgeholtem Papierkram mit leerem Kopf verließ, war mir klar: das muss besser werden. Aber ich war vorsichtig optimistisch, denn alles in allem hätte der erste Tag auch weit, weit schlimmer laufen können.