Die Angst vor einer großen Operation oder dem ersten Nachtdienst alleine: Solche Gefühle kennen viele Ärzte. Doch was passiert, wenn die Unsicherheit nicht weicht, sondern größer wird? Für Ärzte gibt es keine Anlaufstelle und unter Kollegen ist Angst ein Tabu-Thema.
„Angst darf man hier nicht haben. Man sollte nie den Respekt verlieren, überheblich werden, das sicherlich nicht. Gerade die Gefäßneurochirurgie belehrt einen immer wieder, dass man auch Grenzen hat und man demütig sein sollte. Aber Angst sollte man nicht haben“, sagt Prof. Dr. Peter Vajkocy von der Universitätsmedizin Berlin. Er und drei weitere Chefärzte der Charité wurden für einen Dokumentarfilm mit den Kamera durch den Klinikalltag begleitet. Auch das Thema Angst im Alltag eines Arztes kommt dort zur Sprache. Doch wieviel Angst beziehungsweise Respekt vor der Arbeit ist gut und ab wann werden Ängste für den Arzt selbst, aber auch für die Patienten und das Gesundheitssystem zum Problem? Silke S. ist Oberärztin in der Chirurgie einer Allgemeinklinik und kennt solche Situationen aus eigener Erfahrung. „Ganz am Anfang meiner Tätigkeit als Assistenzärztin, vor den ersten Operationen, war ich schon nervös. Das ging anderen jungen Kollegen ähnlich“, berichtet sie. „Schwierig waren zu Beginn auch Situationen, in denen man auf sich alleine gestellt ist: Zum Beispiel, wenn man das erste Mal alleine oder nachts operieren muss. Da kommen einem schon Gedanken wie: ‚Habe ich auf alles geachtet?‘ oder ‚Was kann ich falsch machen?‘“ Mit der Zeit und zunehmender Erfahrung hätten Aufregung und Angst aber bald nachgelassen. Insgesamt können der Einstieg ins Berufsleben, von der Theorie des Studiums in die Praxis, aber auch neue Aufgaben, bei denen mehr Verantwortung gefordert ist, mit Ängsten behaftet sein. „Am Anfang hatte ich schon großen Respekt vor der Arbeit mit Kindern“, erzählt Stefanie K. (Name geändert), die seit vier Jahren als Assistenzärztin an einer Kinderklinik arbeitet. „Kinder können weniger gut sagen, was ihnen fehlt. Bei ihnen muss man sich mehr Zeit nehmen. Man muss erst einmal Vertrauen aufbauen, einfühlsam sein und viel Geduld haben.“ Auch Nachtdienste sind für viele Ärzte anfangs mit Angst verbunden. „Dort musste ich vieles alleine machen und alleine Entscheidungen treffen“, berichtet Silke S. „Vor allem nach dem Dienst kam es dann vor, dass ich alles in Gedanken nochmal durchgegangen bin und mich gefragt habe: 'Habe ich auch alles richtig gemacht?'“ Zu Beginn habe sie bei den Nachtdiensten schon ein mulmiges Gefühl gehabt, erzählt Stefanie K. Man könne während der Dienste zwar jederzeit jemanden anrufen, wenn man Hilfe brauche. „Aber dasüberlegt man sich schon jedes Mal gut.“
Auf der anderen Seite habe Stefanie bei Nachtdiensten auch viel gelernt – etwa, selbständiger Entscheidungen zu treffen. Eine gewisse Aufregung sei sicher gut, meint auch Silke S. „Dann bereitet man sich besser auf die Operation vor. Und ein bisschen Aufregung ist ja auch sinnvoll, um seine Arbeit gut zu machen.“ Umgekehrt sei es ihr schon passiert, dass sie vor einer Routineoperation relativ ruhig gewesen sei, diese dann aber doch schwerer gewesen sei als gedacht. „Da kommt es schon mal vor, dass man einen kleinen Fehler macht“, sagt die Chirurgin. „Daraus lernt man aber auch, sich beim nächsten Mal besser vorzubereiten und den gleichen Fehler nicht noch einmal zu machen.“ Normal ist Aufregung wohl bei Notfällen oder Notoperationen. „In solchen Fällen muss man schnell entscheiden und handeln“, sagt Silke S. „Aber meine Erfahrung ist, dass die Nervosität vor allem vor der Operation auftritt. Während der OP muss man einfach handeln und hat keine Zeit zum Nachdenken. Dann legt sich die Aufregung meist von selbst. Außerdem habe ich in solchen Situationen oft gemerkt, dass ich mehr kann als ich vorher dachte.“ Auch Stefanie K. war am Anfang ihrer Tätigkeit aufgeregt, wenn schwer kranke oder verunfallte Kinder behandelt werden mussten. „Aber mit der Zeit kennt man solche Situationen. Man bekommt auch da mehr Routine und die Angst wird geringer“, berichtet sie. „Aber die Aufgeregtheit und der Respekt vor der Situation bleiben, und das ist ja auch gut so.“
Ängste und Gedanken dieser Art hat vermutlich jeder Arzt schon einmal erlebt. Aber was ist, wenn die Angst so stark werden, dass jemand seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, Fehler macht oder ineffizient arbeitet? „So große Angst, dass jemand gar nicht mehr handlungsfähig wäre, habe ich bei Kollegen selten erlebt“, sagt Silke S. Doch die Arbeitsatmosphäre kann durchaus beeinträchtigt werden, wenn Kollegen im OP die Angst packt: „Einige wurden dann laut, haben Kollegen kritisiert und sie mit ihrer Nervosität angesteckt“, erzählt sie. „Das hat sich eher ungut auf die Atmosphäre während der Operation ausgewirkt.“ So etwas komme ihrer Erfahrung nach aber selten vor. „Insgesamt kommen Ängste und Angststörungen bei Ärzten nicht häufiger vor als in anderen Berufen“, berichtet Andreas Wahl-Kordon, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der Oberbergklinik Schwarzwald. In den Oberbergkliniken liegt ein Fokus auf dem Thema Ärztegesundheit – und etwa 20 Prozent der Klienten dort sind Ärzte. „Typische Ängste, die bei Ärzten auftreten, sind die Angst, Fehler zu machen, soziale Ängste und Panikstörungen“, berichtet Wahl-Kordon. „Solche Ängste kommen oft dann vor, wenn jemand viel Stress hat oder eine hohe Verantwortung trägt.“
Noch häufiger seien allerdings Ängste, die im Rahmen anderer psychischer Belastungen auftreten würden, so der Experte. „Wir sehen häufig Ängste, die in Zusammenhang mit Überarbeitung, Depressionen oder auch Suchterkrankungen vorkommen. Oft kommt hier die Angst vor, nicht genug Leistung zu bringen, den Beruf nicht mehr angemessen ausüben zu können oder die – zum Teil nicht unberechtigte – Angst, in seiner Existenz bedroht zu sein.“ Auf der anderen Seite könnten Ärzte mit der Zeit auch eine zu gelassene, gleichgültige Haltung entwickeln, die dazu führen könnte, seinen Beruf nicht mehr gewissenhaft und zuverlässig auszuüben. „Dies würde ich jedoch nicht als Gegenpol zu Angst sehen, sondern eher als Symptom von Depressionen, Erschöpfung oder einer Überforderung mit der gesamten Situation“, sagt Wahl-Kordon. „Oft tritt zusammen mit der Gleichgültigkeit auch eine Art Zynismus oder sogar Fatalismus auf.“
Stefanie K. kennt im Krankenhaus keine Anlaufstelle, an die sich Ärzte mit Ängsten oder anderen psychischen Problemen wenden können. „Meiner Erfahrung nach ist es eher ein Tabu, dass man als Arzt psychische Schwierigkeiten anspricht oder sich psychologische Beratung holt“, sagt die Kinderärztin. Stattdessen unterstütze man sich eher im Kollegenkreis. „Im Studium lernt man nicht, wie man mit Ängsten, Aufregung oder Lernstress umgeht“, sagt auch Silke S. Und von Mitstudierenden wisse sie, dass man sich schon aktiv darum bemühen müsse, wenn man psychologische Unterstützung brauche. Wahl-Kordon sieht das ähnlich: „Meines Wissens ist es nicht der Fall, dass Ärzte im Studium oder während des Berufs auf den Umgang mit Ängsten oder psychischen Belastungen vorbereitet werden. Keine Uni bereitet angehende Ärzte auf das Thema seelische Gesundheit vor oder vermittelt präventive Maßnahmen zum Schutz ihrer seelischen und körperlichen Gesundheit.“
Was aber, wenn man bereits mittendrin ist und nicht weiß, was man gegen die eigenen Ängste unternehmen soll? Für Betroffene sei es wichtig, aus einer Dauerüberforderung herauszukommen, sich Freiräume und Entlastung zu schaffen und eine ausgewogene Work-Life-Balance zu finden, betont Wahl-Kordon. „Oft gehört dazu auch, angemessene Ansprüche an sich selbst zu stellen“, so der Psychiater. „Viele Ärzte identifizieren sich stark mit ihrer Arbeit, und das ist ja auch gut. Aber die Arbeit sollte nicht lebensfüllend sein.“ Stattdessen sollten die Mediziner so leben, dass sie in der Lage sind, ihren Beruf über lange Zeit und mit Freude auszuüben. „Dazu gehört, im Privatleben befriedigende Kontakte und Hobbies zu haben – und auch, auf einen gesunden Lebensstil zu achten, also auf genügend Schlaf, Bewegung und eine gesunde Ernährung.“ Anlaufstellen für Ärzte gibt es, es handelt sich aber nur um „einzelne Angebote oder Modellprojekte. Im größeren Umfang gibt es hier bisher noch nichts“, sagt Wahl-Kordon. Als Beispiel nennt er die Ärztekammer Nordbaden, die eine Art Sorgentelefon anbietet, wo Ärzte anonym anrufen können. Bei den Oberbergkliniken wird ein ambulantes Vorgespräch angeboten, das Ärzte in Anspruch nehmen können, die psychologische Unterstützung suchen. Für Studenten, die mit ihrer Angst, etwas vor Prüfungen, nicht mehr zurecht kommen, gibt es zudem die psychologischen Beratungsstellen der Unis.
Gut wäre es, wenn Medizinstudenten bereits im Studium ein Resilienztraining durchlaufen würden, um genau diese Dinge zu lernen, sagt der Experte. „Es wäre wünschenswert, wenn das Thema ‚Resilienz im Beruf‘ bereits im Studium und später berufsbegleitend, vermittelt durch die Ärztekammern, Raum erhalten würde,“ führt Wahl-Kordon aus. Es gibt hierzu bereits eigens entwickelte Trainings, bei denen niedergelassene Ärzte lernen, wie sie sich über lange Zeit die Freude am Beruf erhalten können. Elemente daraus werden auch an der Oberbergklinik eingesetzt. „Bisher werden diese Trainings aber nicht außerhalb des klinischen Kontexts angeboten“, so Wahl-Kordon. In anderen Ländern sei man in Hinsicht auf xyz schon deutlich weiter als in Deutschland. Im November wollen Wahl-Kordon und seine Kollegen daher beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) ein Symposium zum Thema Ärztegesundheit veranstalten, um Ärzte stärker auf dieses Thema aufmerksam zu machen.