Es ist lästig aber notwendig, Kunden zu bitten, ihre offene Rechnung zu begleichen oder ein Rezept nachzubringen. Herr Y. ist uns seines noch schuldig. Ich stelle ihn vor die Wahl: Rezept oder Geld. Das sieht Herr Y. nicht ein und will mit dem Chef Tacheles reden – kein Problem.
Der ungeliebte Blick ins Schuldenbuch
Heute Nachmittag war es etwas ruhiger, daher hatte ich Zeit, unser Schuldenbuch zu durchforsten. Die meisten Rechnungen waren zum Glück schon beglichen, aber den ein oder anderen Fund macht man (leider) immer. So auch heute.
Herr Y. hatte vor sechs Wochen Kompressionsstrümpfe bestellt und abgeholt (die Maße wie immer) und versprochen, ein Rezept nachzubringen. Hat er aber bis heute nicht. Um die Angelegenheit nicht völlig aus den Augen zu verlieren, rief ich ihn an, und ich ahnte schon, dass es eine schwere Geburt werden würde.
Herr Y. versteht mich nicht ergo bin ich schuld
„Y., Hallo?“
„Guten Abend, Herr Y. Ptachen aus der Vorstadtapotheke hier. Ich rufe wegen der Kompressionsstrümpfe an, die Sie vor sechs Wochen bei uns abgeholt haben.“
„Ja?“
„Uns fehlt noch immer das Rezept zum Abrechnen, Herr Y. Ich bitte Sie, uns bis Ende des Monats das Rezept zu besorgen, andernfalls würde ich Ihnen eine Rechnung über 70 € ausstellen.“
„Moment. Ich zeichne unser Gespräch ab jetzt auf.“
„Das können Sie gerne machen.“
„Sie wollen also ein Rezept von mir haben über die Strümpfe, ja?“
„Ja, das wäre die eine Variante. Ich kann sie aber auch in Rechnung stellen.“
„Sie wollen ernsthaft jetzt von mir Geld haben? Nach all der Zeit?“
„Ja.“
„Wie stellen Sie sich das denn jetzt vor? Soll ich die 70 € überweisen?“
„Das können Sie gerne tun.“
„Das könnte Ihnen so passen! Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie bei mir anrufen deswegen!“
„Nun – ich habe es vorher bei ihrem Hausarzt versucht, aber der sagte mir, dass Sie in diesem Jahr noch nicht bei ihm gewesen sind, und somit konnte er auch Ihre Versichertenkarte noch nicht einlesen. Ein Rezept kann er aber erst ausstellen, wenn er das vorliegen hat.“
„Ich verstehe die Worte, die Sie sagen, aber sie ergeben überhaupt keinen Sinn für mich!"
„Was genau ist denn so unverständlich, Herr Y.?“
„Ich hole meine Medikamente immer bei Ihnen.“
„Ja …?“
„Und jetzt wollen Sie auf einmal Geld von mir? Warum haben Sie mir die Strümpfe denn gegeben, wenn Sie noch kein Rezept hatten? Das frage ich mich doch!“
„Weil wir darauf vertraut haben, dass Sie Ihr Wort halten und die Verschreibung nachbringen.“
„Also ich sehe da Fehler auf beiden Seiten. Wie kommen wir da jetzt zusammen?“
„Indem Sie mir entweder ein Rezept über die Kompressionsstrümpfe besorgen oder den Betrag bezahlen.“
„Das heißt, ich hab jetzt alleine den schwarzen Peter oder was? Ich bezahl doch kein Taxi für 40 €, nur um die blöde Karte zum Arzt zu bringen. Wenn der Idiot da kein Rezept ausstellen will, bin doch wohl ich nicht schuld, Mädchen. Das musst du doch verstehen können!“
„Herr Y., ein ‚Mädchen‘ bin ich schon eine ganze Zeit lang nicht mehr.“
„Wenn Sie so weiter machen, muss ich mal mit Ihrem Chef Tacheles reden!“
„Gerne. Ich gebe Sie mal weiter.“
Nicht einknicken, abhaken, nachhause gehen
Mit dem guten Gefühl, dass mein Chef mir in der Sache niemals in den Rücken fallen würde, gab ich den Hörer weiter – und so war es auch. Das Ende vom Lied ist noch nicht gesungen, aber Herr Y. wird von uns ganz sicher nie mehr auch nur einen Euro gestundet bekommen.
Das fand ich nämlich mit das Unverschämteste: uns quasi die Schuld daran zu geben, dass er etwas bekommen hat, ohne gleich zu bezahlen. Da wir uns untereinander aber einig waren, und niemand durch die fordernde Art des Herrn Y. „eingeknickt“ war, konnten wir sogar am Schluss des Tages darüber lachen.
Wie man nach Feierabend aus der Tür geht, hängt maßgeblich damit zusammen, wie man sich versteht, und nicht unbedingt damit, wie „nett“ die Kunden wieder mal waren …
Bildquelle: dobroide, flickr