Trotz warnender Stimmen aus der Bundesregierung verordnen Tierärzte Antibiotika in rauen Mengen. Manche Landwirte widersetzen sich dem Trend und geben nur homöopathische Präparate ab. Die Kühe nehmen das gelassen. Aber das Problem löst man damit nicht.
Europaweit ziehen sich 2,6 Millionen Menschen pro Jahr nosokomiale Infektionen zu und 90.000 sterben an den Folgen. Das berichtet Alessandro Cassini vom European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC). Grundlage seiner Arbeit waren Daten aus 30 Ländern mit insgesamt 510 Millionen Einwohnern. Resistente Keime haben sie zwar nicht erfasst. Bekannt ist aber, dass gut ein Zehntel aller Erreger nicht mehr auf Standard-Wirkstoffe reagiert. Als Grund sehen Forscher nicht nur die Humanmedizin, sondern auch die Massentierhaltung.
Deshalb versucht die Bundesregierung gegenzusteuern. Bei der deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) ist nicht nur vorgesehen, entsprechende Keime zu erfassen. Darüber hinaus werden abgegebene Präparate protokolliert. Die Resultate bleiben laut dem aktuellen „Bericht über den Antibiotikaverbrauch und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen in der Human- und Veterinärmedizin in Deutschland“ (GERMAP) hinter allen Erwartungen zurück. © GERMAP 2015 – Antibiotika-Resistenz und -Verbrauch Auf den ersten Blick fallen sinkende Verordungszahlen auf. „Der Rückgang der Abgabemengen in den Jahren 2011 bis 2014 um 27 Prozent kann aktuell nicht als Indiz für weniger Antibiotikatherapien gewertet werden“, heißt es dazu im GERMAP-Report. Experten sehen hier zwei Schwachpunkte: „Die Abnahme der Gesamtmengen im Erfassungszeitraum von 2011 bis 2014 steht möglicherweise in direktem Zusammenhang mit der öffentlichen Diskussion zur Antibiotikaresistenz und der Forderung nach Reduktion des Antibiotikaeinsatzes.“ Wächst der Druck, verordnen Tierärzte in Summe weniger Präparate. Von nachhaltigen Strategien ist diese Praxis weit entfernt. Gleichzeitig ändern sie ihr Verordnungsverhgalten, wie ein Blick auf Details zeigt.
Abgabemengen an Fluorchinolonen © GERMAP 2015 – Antibiotika-Resistenz und -Verbrauch Im Berichtszeitraum stieg die Menge an Fluorchinolonen um vier Tonnen. Das entspricht einem Plus von 50 Prozent. Tierärzte verordnen besonders oft Enrofloxacin (plus 63 Prozent). „Möglicherweise wurde der Rückgang der Gesamtmenge abgegebener Antibiotika auch durch den vermehrten Einsatz von Wirkstoffen, die in geringerer Dosierung pro Kilogramm angewendet werden, ausgeglichen“, schreiben die Autoren. Es überrascht wenig, dass Resistenzen gegen Fluorchinolone weiter zunehmen. Gleichzeitig gibt es eine kritische Gegenströmung.
Erna Rieder aus der Nähe von Regensburg will von Antibiotika nichts wissen. „Wenn eine Kuh krank ist, siehst du das sofort“, sagt die Landwirtin. Dann greift sie in ihre homöopathische Schatztruhe. Von A wie Arnika bis Z wie Zinnkraut ist dort alles zu finden – natürlich verabreicht sie es nur in homöopathischen Dosen. Rund 120 Präparate umfasst ihre Sammlung mittlerweile. Wissenschaftler sind skeptisch: Große Metaanalysen, um Effekte in der Veterinärmedizin zu belegen, fehlen bislang. Klinische Studien zeigten keinen Effekt. Befürworter berufen sich nur auf Anwendungsbeobachtungen. Paul Enck, Professor für Medizinische Psychologie und Forschungsleiter der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen, ist um eine Erklärung nicht verlegen. „Wenn wir ein Medikament nehmen und eine Erwartungshaltung bezüglich seiner Wirkung haben, hat das schon eine Wirkung auf den Gesundungsprozess - das ist der Placeboeffekt“, so Enck. „Das Tier hat diese Erwartungshaltung bezüglich der Pillen natürlich nicht, aber sein Besitzer.“ Er spricht in diesem Zusammenhang vom „Placebo by Proxy“-Effekt. Und nicht zuletzt bleibt das angenehme Gefühl, etwas getan zu haben.
Zwei von DocCheck befragte Veterinärmediziner wollen sich zu dem Thema nicht äußern. Beide verweisen übereinstimmend auf deutsche Besonderheiten: Landwirte erwerben homöopathische Präparate in der Apotheke, nicht beim Tierarzt. Beliebt seien Lösungen, denn die könne man schön auf die Schnauze von Tieren sprühen. Alle Präparate sind nicht für Tiere zugelassen. Schließlich hat sich die Europäische Union zu Wort gemeldet. Im Rahmen ihrer Verordnung COM (2014) 558 will sie das Arzneimittelrecht im Veterinärbereich überarbeiten. Wer Nutztiere züchtet, darf dem Entwurf zufolge nur noch Präparate mit Zulassung einsetzen. Die Abgabe soll auf Rezept erfolgen, ohne Ausnahme. Damit gibt sich die Bundesregierung nicht zufrieden. Bei einer Sitzung des Petitionsausschusses im Juni meldete sich Dr. Maria Flachsbarth (CDU), parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, zu Wort. Deutschland setze sich dafür ein, dass bei homöopathischen Arzneimitteln über einem bestimmten Verdünnungsgrad (D4 - 1:10.000) „unter bestimmten Umständen und bei bestimmten Anwendungen Erleichterungen erforderlich sind“, so Flachsbarth. Die Bundesregierung habe außerdem auf europäischer Ebene vorgeschlagen, eine neue Regelung in die Verordnung aufzunehmen, wonach es bei mengenmäßig begrenzter Herstellung zu keiner Registrierung mehr kommen müsse, „um die Verfügbarkeit homöopathischer Arzneimittel zu verbessern“. Ob sich dadurch Antibiotika-Resistenzen eindämmen lassen, bezweifeln Experten der Universität Kassel.
Professor Dr. Albert Sundrum © Uni Kassel Beim Projekt IMPRO haben sie ein Jahr lang ausgewählte Leiden wie Eutererkrankungen und Lahmheiten in mehr als 200 Öko-Betrieben untersucht. Professor Dr. Albert Sundrum zufolge seien die Ergebnisse ernüchternd. Trotz besserer Haltungsstandards unterschieden sich die Erkrankungsraten auf ökologischen Milchviehbetrieben nicht von Höfen mit konventioneller Milchviehhaltung. Sundrums Fazit: „Ganz ohne Antibiotika wird auch die ökologische Landwirtschaft künftig nicht auskommen." Alternative Therapien stellen für ihn keine Option dar: "In wissenschaftlichen Studien mangelt es weiterhin an belastbaren Nachweisen der Wirksamkeit von homöopathischen und pflanzlichen Mitteln. Zudem fehlt vielen Landwirten die hinreichende fachliche Kompetenz, um solche Mittel zielführend zur Verbesserung des therapeutischen Erfolges und zur Vermeidung von Schmerzen, Leiden und Schäden einzusetzen." Vom Gesetzgeber fordert der Forscher, das Thema Tiergesundheit nicht nur Landwirten zu überlassen. Er wünscht sich Systeme zur flächendeckenden Erfassungvon Krankheiten, aber auch konkrete Zielvorgaben.