Ich bin neugierig geworden, wie die Studienlage zum medizinischen Einsatz von Cannabisprodukten (hier Sativex) bei ADHS-Klienten tatsächlich aussieht. Ich habe deshalb mal nachgeforscht, warum eine 2014 gestartete Studie am King’s College in London noch keine Ergebnisse zeigte.
Mein Beitrag zum Medizinischen Einsatz von Cannabis hat ziemliche Wellen ausgelöst.
Immerhin kann man sich als Blogger ja freuen, wenn über 60 Kommentare generiert werden. Da ich selber ADHSler bin, provoziere ich durchaus gerne und muss dann auch einstecken können. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass sachlich diskutiert werden kann und verschiedene Themen nicht einfach vermischt werden. Es geht mir nicht um die Legalisierung oder das Verbot von Cannabis. Und noch nicht mal um die Frage, ob es nicht Gebiete gibt, wo Cannabisbestandteile eine therapeutische Wirkung zeigen oder nicht.
Da in den Kommentaren darauf hingewiesen wurde, ich würde die retrospektive Anwenderbeobachtung von Frau Dr. Milz und dem Kollegen Grotenhermen nicht würdigen, hier noch ein paar Anmerkungen.
Alle Klienten haben schon vorher gekifft
Geht es hier wirklich um ADHS oder Sucht?
So wie ich die Kollegin Milz verstehe, argumentiert sie mit der Selbstmedikationshypothese bei ADHS. Das finde ich durchaus nachvollziehbar, da ich selber großer Anhänger von Wendy Richardson und ihren frühen Büchern zu ADD and Addiction bin. Aber aus meiner Sicht rechtfertigt die Idee einer Legalisierung von Cannabis noch nicht das Verschreiben auf Kassenrezept.
Vielmehr sollte man differenzierter schauen, was eigentlich hinter der Problematik der Patienten steht. Ganz typische ADHS-Probleme klingen jedenfalls für mich anders, als in den einschlägigen Foren und Hanf-Journalen beschrieben.
In Zentren wie zum Beispiel bei Frau Müller-Vahl wird schon jahrelang mit der Wirkung von medizinischem Cannabis unter anderem bei MS und Tourette gearbeitet. Ich habe ein großes Interesse daran, zu erfahren, ob hier wirklich positive Effekte von Cannabis bei ADHS erzielt werden. Ich habe ein ziemlich großes Kontaktnetz im ADHS-Bereich – zur Zentrale ADHS-Netz, zur AG-ADHS der Kinder- und Jugendärzte, zum ADHS-Deutschland e.V. und zu über 900 Betroffenen im In- und Ausland. Und zumindest dort habe ich keine positiven Berichte vernommen. Da ich auch in amerikanischen Professionalgruppen lese und schreibe, überblicke ich auch dort den Bereich ein wenig. Zumindest die Aussage, dass dort Cannabis zur Behandlung von ADHS üblich sei, ist an den Haaren herbeigezogen.
Nochmal nachgeforscht: Die Studienlage
Ich verschreibe seit 1999 ADHS-Medikamente. In all den Jahren habe ich noch nicht einen ADHSler ohne Cannabis-Vorgeschichte gehabt, der freiwillig auf die Idee gekommen wäre, eine Therapie mit medizinischem Cannabis zu beginnen. Auf diese Idee kommen nun offenbar fast ausschliesslich Langzeitkonsumenten von Cannabis-Produkten.
Schauen wir mal, ob dies nicht auch untersucht wurde. Gibt es eine Studie, die ADHS-Erwachsene OHNE akutelle Cannabis-Problematik findet, die sich auf einen Therapieversuch mit medizinischen Cannabinoiden einlassen? Genau diese Fragestellung untersuchte die EMA-C-Studie am King’s College in London. Hier wurden 30 erwachsene ADHS-Patienten über sechs Wochen entweder mit Sativex Oromucosal Spray oder Placebo behandelt. Leider bisher ohne Ergebnisse, obwohl die Studie eigentlich schon 2014/15 abgeschlossen sein sollte.
Ich habe also beim Autor nachgefragt. Toll, dass der Autor innerhalb von wenigen Minuten an einem Samstag antwortete. Die Antwort von Prof. Asherson : „It's a small study of 30 patients so not definitive. It's currently on review. Effects are large (d=.6 to .8) but not significant when adjusted for number of outcome measures.“
Eine Effektstärke von 0.6 bis 0.8 wäre genial hoch und vergleichbar mit einem Einsatz von Stimulanzien bei ADHS. Aber der Studienautor schreibt selber, dass in der placebokontrollierten Studie gerade keine statistisch signifikanten Ergebnisse erzielt wurden. Dies ist aber der bisher anerkannte Gradmesser dafür, dass man die Wirksamkeit einer Therapie akzeptiert (wenn es denn in weiteren Studien mit größeren Zahlen von Anwendern bestätigt würde). Und natürlich auch dafür, ob eine Krankenkasse die Kosten übernehmen sollte oder nicht.
Mein Fazit
An dieser Stelle wird jetzt wieder jeder so interpretieren, wie er es interpretieren will. Für mich heißt es erstmal, dass es in einzelnen Bereichen durchaus Veränderungen durch die Behandlung mit Cannabinoiden gab. Aber insgesamt keine statistisch signitifikante Veränderung für die in der Hypothese der Untersuchung postulierten Marker bezüglich der Wirksamkeit erzielt werden konnten.
Ich würde durchaus weitere Studien unterstützen, aber nach wie vor nicht die Kostenübernahme durch die Gesetzlichen Krankenkassen. Denn es kann nicht angehen, dass die Kassen eine nicht wissenschaftlich belegbare Therapie zahlen, sich aber um die Kostenübernahme vor den eigentlichen „Second Line“-Therapien (hier bei Erwachsenen Attentin bzw. Elvanse und andere Amphetamine) drücken.
Nicht mehr oder nicht weniger als diese Kernaussage sollte auch mein vorheriger Blogpost zum Ausdruck bringen.