Herr Rumpelstilzchen liegt auf Station. Neben seinem metabolischen Syndrom hat er ein gebrochenes Sprunggelenk. Seine Frau ist ein zartes Geschöpf, das ihm täglich den Kuchen, das Abendbier und die Tageszeitung bringt. Herr Rumpelstilzchen ist schon seit fünf Tagen hier.
Das Sprunggelenk muss abschwellen. Das heißt hochlagern und kühlen. Herr Rumpelstilzchen ist allerdings zu beschäftigt, sein Bein hoch zu legen. Denn er muss ca. 20 Mal am Tag „frische Luft schnappen“, die 40 pack years kommen nicht von irgendwo her. Sein Mittagsbierchen in der Cafeteria muss er auch pünktlich holen und um 14:30 Uhr verlassen die hübschen jungen Krankenschwestern das Krankenhaus. Da gibt es dann Etwas für die Augen.
Jede Visite verärgert ihn zunehmend. „Nein, Herr Rumpelstilzchen, wir können heute nicht operieren, die Haut über ihrem Sprunggelenk geht auf wie eine Wurstpelle. Nur eben nicht mehr wieder zu.“ „Nein, Herr Rumpelstilzchen, Sie dürfen nicht zum Rauchen gefahren werden, ihr Nikotinkonsum schadet der Durchblutung massiv.“ „Ich weiß, dass sie keine Schmerzen haben, wie war denn ihr Zucker heute Morgen?“
Generell findet Herr Rumpelstilzchen fast alles doof
Nach jeder Visite ist sein Blutdruck noch ein bisschen höher und während der Gespräche kann man an seiner Gesichtsfarbe ablesen, wie viele Sekunden es noch dauert, bis er explodiert. Das Krankenhausessen ist nicht genießbar, die Abendruhe viel zu früh und die Morgenvisite viel zu spät. Außerdem habe er ja bisher noch nicht einmal einen richtigen Arzt zu Gesicht bekommen. „Entschuldigen Sie, Frau Doktor, ich meine so einen richtigen Arzt“. Kein Problem, ich schicke den Kollegen. Er ist groß, breitschultrig, hat einen schneeweißen Arztkittel und schicke Schuhe an. Er kommt aus Libyen und ist Gastarzt. Er erklärt HerrnRumpelstilzchen erneut, dass es heute Nichts wird, mit der OP. Die Schwellung ist zu stark.
Herr Rumpelstilzchen lässt anschließend nach mir klingeln. Er habe den Herr Doktor nun verstanden, aber er habe ja nicht einmal erzählen können, wie unmöglich ihn die Nachtschwester behandelt habe.
Und wann kommt der richtige Arzt?
Am nächsten Tag kläre ich ihn für die OP auf. Übermorgen wird es wohl klappen. Ich spreche von erhöhter Nekrosegefahr, Wundheilungsstörungen, etc. Er hört nicht zu. Wann denn der Doktor käme, der ihn operieren würde, fragt er. Ich sage: „Das bin ich“. Er lacht. Er meine den richtigen Doktor, der mit dem Messer. Ich hole den Oberarzt, groß, weißbärtig, Schultern wie ein Ochse. Herr Rumpelstilzchen ist zufrieden.
Am Folgetag stehen wir im OP. Der Oberarzt hat kein einziges Mal das Skalpell in der Hand. Das Sprunggelenk von Herr Rumpelstilzchen operiert die Frau Doktor.