Heute bin ich in der Notaufnahme eingeteilt. Während meiner Schicht werde ich circa 50 Patienten betreuen. Heute bin ich echt motiviert. Heute hab ich Bock auf Drama, Drama, Drama. Beste Voraussetzungen sind gegeben – Glatteis, Schnee und Temperaturen um die 0 °C.
Mein Chef wird begeistert sein und morgen werde ich sicher gleich mehrfach auf dem OP-Plan stehen. Eine schöne Oberarmfraktur oder vielleicht sogar mal eine Unterschenkelfraktur? Man, diese Tibiamarknägel sind aber auch schwer zu ergattern.
Wo sind die Polytraumata, die schweren Verkehrsunfälle und die Frakturen? Ich komme gerade vom ATLS-Kurs. A,B,C,D,E. Prioritäten setzen. Ja, jetzt weiß ich, wie das Ganze so läuft. Beckenfraktur? Thoraxdrainage? Her damit. Ich bin schließlich Unfallchirurgin. Habe ich schon erwähnt, dass ich heute echt Lust habe?
Fangen wir also in Kabine 1 an: Rückenschmerzen seit sechs Monaten. Heute morgen GANZ schlimm. Vor allem deshalb, weil der Hausarzt im Urlaub und die Vertretung leider 20 Minuten weiter weg vom heimischen Bett als unsere Notaufnahme ist.
Kabine 2: Rückenschmerzen seit heute morgen. Arbeiten auf dem Bau, das Tragen von schweren Gegenständen ist aber auch echt beschwerlich.
Kabine 3: Schulterschmerzen seit drei Wochen, wenn man den Arm so GAAANZ nach innen dreht und dann GAAANZ nach oben hinten streckt. Ob das wohl normal ist?
Meine Stimmung rutscht in den Keller und die Motivation ist schon bei Rückenschmerz Nr. 2 flöten gegangen.
Jetzt! Der Rettungsdienst kommt, endlich. Irgendwas zu reponieren? Vielleicht doch die offene Unterschenkelfraktur?
Es ist ein Hypochonder. Die Dame hat doch glatt angefangen zu hyperventilieren, als sie sich beim morgendlichen Marmeladebrot streichen ihren Nagel am Ringfinger eingerissen hat. Ich sehe nicht einen einzigen Blutstropfen ...
Unfallchirurgie eben.