Gedanken zum Tod meines Schwiegervaters, der plötzlich und unerwartet an einer hypertensiven Massenblutung starb.
„Das Leben ist das, was passiert, während du dabei bist, andere Pläne zu machen.“ Und dazu gehört leider auch der Tod.
Angeblich soll ein Mann drei Dinge in seinem Leben erreichen: Ein Haus bauen, ein Kind zeugen und einen Baum pflanzen. Gemessen daran, war das Leben meines Schwiegervaters sehr erfolgreich: Er hat – zum Teil mit seinen eigenen Händen – ein Zweifamilienhaus errichtet. Er hat mit seiner Frau Zwillinge bekommen. Und in seinem Garten wachsen viele Bäume. Trotzdem gibt es sicherlich viele Dinge, die er in seinem Leben gerne noch getan hätte. So war er nie in Brasilien, obwohl er stets davon geträumt hatte, einmal Rio de Janeiro zu besuchen. Aber leider hat sein Gesundheitszustand irgendwann eine solch strapaziöse weite Reise unmöglich gemacht.
Wir alle verschieben immer wieder Dinge, die uns eigentlich wichtig sind, auf später. Einen guten Freund anrufen, von dem wir schon lange nichts mehr gehört haben? Das kann ich auch noch morgen erledigen oder kommendes Wochenende. Die Skandinavien-Kreuzfahrt? Das mache ich, wenn ich endlich in Rente bin.
Doch: „Das Leben ist das, was passiert, während du dabei bist, andere Pläne zu machen.“ Und so warten wir manchmal zu lange.
Eines der ersten Dinge, die meine Schwiegermutter nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes sagte, war, sie habe ihm stets gewünscht, dass er nicht bewusst sterben müsse, und dieser Wunsch sei in Erfüllung gegangen.
Aber noch in einem weiteren Aspekt hat er – wenn man das so sagen darf – Glück gehabt. In unserer modernen Gesellschaft wurde der Tod immer weiter an den Rand gedrängt. Die meisten von uns wollen nichts mit ihm zu tun haben, nicht an ihn erinnert werden, obwohl er zum Leben dazu gehört wie die Geburt. Daher findet der Tod heutzutage überwiegend in Krankenhäusern und Pflegeheimen im Verborgenen statt. Viele sterben allein, betreut von Fremden. Doch was wir nicht (mehr) kennen, macht uns nur mehr Angst. Mein Schwiegervater starb zwar auch in einer Klinik, aber seine Familie hat ihn bis zum letzten Atemzug begleitet.
Das macht den Schmerz über den Verlust des geliebten Menschen nicht leichter. Die Trauer ist so groß, dass wir uns wünschen, das Leben würde einen Moment inne halten.
Der englische Dichter W.H. Auden hat es in seinem Begräbnis Blues ergreifend formuliert:
„Die Uhren stoppt, reißt raus das Telefon, Ein Knochen für den Hund, dann schweigt er schon, Nein, kein Klavier, nur Trommeln, dumpf und schwer. Tragt raus den Sarg, die Trauernden ruft her.
Flugzeuge soll‘n im tristen Morgenrot Groß an den Himmel schreiben: Er ist tot, Die weißen Taubenhälse sollen schwarze Kragen, Die Polizisten schwarze Handschuh tragen.
Er war mein Nord, mein Süd, mein Ost, mein West, Mein Werk- und Feiertag, mein Dienst, mein Fest, Mein Wort, mein Lied, mein Mittag, meine Nacht; Die Liebe stirbt nicht, dacht ich; falsch gedacht.
Den Sternen sagt: Wir woll‘n euch nicht, geht unter! Packt ein den Mond und reißt die Sonne runter; Kippt weg das Meer, den Wald lasst überfluten, Denn nichts mehr wendet sich ab jetzt zum Guten.“
Aber das Leben hält nicht an. Morgen ist einfach nur ein weiterer Tag. Aber so unerbittlich das uns in unserer Trauer vielleicht auch erscheinen mag, darin steckt auch ein Stück Hoffnung. Denn morgen ist trotz allem ein neuer Tag…
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