Ist es sinnvoll, die Plazenta zu verspeisen? Plazentophagie ist Gegenstand einer aktuellen Studie aus den USA. Das angeblich gut verfügbare Eisen im Mutterkuchen kann die Eisenspeicher der Mütter mit dieser Sonderform des postpartalen Kannibalismus schneller wieder auffüllen, heißt es.
Ob dies nun zutrifft, wurde in der Studie „Effects of Human Maternal Placentophagy on Maternal Postpartum Iron Status: A Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Pilot Study“ von Laura K. Gryder et al. untersucht.
Positive Effekte?
Angeblich „habe der Mutterkuchen eine ganze Reihe positiver gesundheitlicher Effekte: Nicht nur Depressionen soll er vorbeugen, auch die körperliche Regeneration soll er fördern und vor allem die leeren Eisenspeicher rasch wieder auffüllen. Tatsächlich bewiesen ist davon allerdings nichts“, schreibt die Redakteurin Dagmar Kraus sehr umsichtig in einem Artikel zum Thema.
Studiendesign und Verlauf
23 gesunde Frauen mit normal verlaufenden Schwangerschaften wurden randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert untersucht. Vier Mal wurde der Eisenstatus anhand der Hämoglobin-, Transferrin- und Ferritin-Werte bestimmt: In der 36. Schwangerschaftswoche, innerhalb von 96 Stunden nach der Geburt, zwischen dem 5. und 7. Tag postpartal und in der dritten Woche nach der Entbindung. Ausreichend Eisen sollte mit der Nahrung aufgenommen, bzw. im Anschluss an die Entbindung 20 Tage lang geschluckt werden (entweder Plazentakapseln oder Placebokapseln mit Biofleisch von Weiderindern): Am 1. bis 4. Tag 3 x tgl. 2 Kapseln mit 550 mg, am 5. bis 12. Tag 2 x tgl. 2 Kapseln mit 550 mg und weitere 8 Tage 1 x tgl. 2 Kapseln mit 550 mg.
Kein signifikanter Unterschied
Kein statistisch relevant messbarer Unterschied zwischen der Plazenta- und der Placebogruppe, weder für die Parameter Hämoglobin, Ferritin oder Transferrin konnte detektiert werden. Obwohl der durchschnittliche Eisengehalt in den Plazentakapseln bei 0,664 mg/g und in den Placebokapseln nur bei 0,093 mg/g lag.
Das Autorenteam schließt seinen Abstract mit folgender Ergebnisdiskussion: „Die vorliegende Studie legt nahe, dass verkapselte Plazenta-Supplementation weder signifikant den postpartalen mütterlichen Eisenstatus verbessern noch ausgleichen kann. Dies gilt für Frauen, welche die empfohlene tägliche Menge an Nahrungseisen während Schwangerschaft und Stillzeit aufnehmen, im Vergleich zu einem Rindfleisch-Placebo...“ [„The current study suggests that encapsulated placenta supplementation neither significantly improves nor impairs postpartum maternal iron status for women consuming the RDA (recommended daily allowance) of dietary iron during pregnancy and lactation, compared to a beef placebo. This may be an especially important finding for women who are iron deficient postpartum and whose only source of supplemental dietary iron is encapsulated placenta, as this may provide an inadequate source of supplemental iron in cases of deficiency“].
Fantasie und Wirklichkeit?
Doch wer jemals auf einem Bauernhof die Spontangeburt eines Säugetieres mitbekommen hat, wird dabei unschwer festgestellt haben, dass die Plazenta nicht vom entkräfteten Muttertier selbst, sondern von den umherstreunenden, hungrigen Karnivoren in Haus und Hof weggefressen wird. Vegan bzw. vegetarisch lebende Milch-Tiere werden wohl kaum Appetit auf Plazentae haben, und nicht säugende Eier-Leger werden von den aggressiveren Fleischfressern verscheucht. Insofern beantwortet die Studie nichts weiter als irregeleitete Forschungsfantasien.
Postfaktisches?
Damit werden Zurück-zur-Natur-Wünsche von Yuppies erfüllt, die mangels ausreichender körperlicher Fitness oder Willenskraft doch keine Spontan-, Unterwasser-, Sanft- oder Kopfstand-Geburten zu Stande gebracht haben. Soll das durch den damit erforderlichen Kaiserschnitt fehlende authentische Geburtserlebnis dann über den scheinbar gesunden Gourmet-Genuss der eigenen Plazenta nachgeholt oder überkompensiert werden?
Bereichert durch die waghalsige Plazenta-Grenzerfahrung, inspiriert durch diese Sonderform des Kannibalismus und gestärkt durch ein Wildnis-Abenteuer der an der Plazenta nagenden Sippe („survival of the fittest“), kann man dann wieder beruhigt zurückkehren – per Auto und Aufzug, in eine nach Feng Shui Prinzipien ausgerichtete Welt der klimatisierten Bürotürme, wo man authentische Back- bzw. Kochrezepte unter Verwendung von frischer Muttermilch mit den anderen, aus dem Mutterschutz zurückkehrenden Kolleginnen austauscht.
Bildquelle: Stephanie Chapman, flickr