Die Diskriminierung Andersdenkender mit pseudopsychologischen Argumenten wird zum Bumerang.
Es wird ja tagein, tagaus viel Unsinn geschrieben und wenn man das alles kommentieren wollte, würde man a) sehr viel Zeit damit zubringen und b) dem ganzen Käse zu viel Ehre erweisen.
Manchmal aber reicht der Unsinn sehr weit in mein Fachgebiet hinein und dann setze ich mich doch hin und schreibe etwas dazu. Nicht, weil ich glaube, es würde jemandem helfen oder der Unsinn in der Welt nähme dadurch ab.
Aktuell gibt es bei „Tichys Einblick“ einen Artikel mit folgendem Titel: „Warum Sie mit psychopathologisch gestörten Gutmenschen nicht diskutieren sollten“. Autor ist Jürgen Fritz, der ursprünglich wohl mal Mathe, Physik und Philosophie studiert hat, jetzt aber als „freier Autor“ tätig ist. Herr Fritz hat auch einen Blog, auf dem er unter anderem erklärt „warum der Islam von diesem Planeten verschwinden muss“ oder die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft präsentiert: „Neue Studie beweist: Über 95% der Genies (IQ über 150) wählen AfD“.
Jetzt sind also die Gutmenschen dran. Dabei ist bereits der Titel falsch. „Psychopathologisch gestört“ gibt es nicht. Die Psychopathologie ist (als ein Teilbereich der Psychiatrie) die Lehre von den Symptomen und Syndromen bei psychischen Erkrankungen. Hier geht es um Bewusstsein, Orientierung, formales und inhaltliches Denken, Affekt, Antrieb und diese Dinge. Übrigens ist hier auch die Wikipedia im Irrtum, wenn sie die Psychopathologie als „Lehre von den psychischen Erkrankungen“ bezeichnet. Man kann Symptome aus dem psychopathologischen Bereich aufweisen, aber man hat keine „psychopathologische Erkrankung“. Die Psychopathologie beschreibt Symptome, keine Krankheiten. Die Zuordnung der psychopathologischen Auffälligkeiten zu bestimmten Störungen ist Aufgabe der Diagnostik.
„Grün-linke Gutmenschen sind (...) krank“ schreibt Jürgen Fritz und das ist auch die einzige Aussage seines Artikels, die sich ruminativ im Text hin und her wälzt. Der Autor hantiert durchgehend mit psychologisch vermeintlich klangvollen Ausdrücken und schwingt sich auf zu kühnen Theorien:
„Dem liegt ein tief gestörtes Verhältnis zum eigenen Ich, welches sich allererst aus Abgrenzung konstituiert und entwickelt, dem liegen Angst vor Bewertung, vor dem Gefühl der Minderwertigkeit sowie Realitätsverlust und schwere Traumatisierungen, die nie verarbeitet wurden, sowie die völlige Unfähigkeit der kritischen Selbstreflexion zu Grunde.“
Was uns Jürgen Fritz sagen will: „Psychopathologisch gestörte Menschen“ können nicht denken, sondern nur fühlen. Das sei „ganz wie beim Tier oder beim Kleinkind“.
Seine Folgerung: „Mit derart gestörten Personen sollte man nicht großartig diskutieren. Man muss sie behandeln. Aber das müssen spezialisierte Fachärzte machen.“ Neben den „grün-linken Gutmenschen“ bekommen bei Jürgen Fritz also auch alle anderen ihr Fett weg, mit denen man „nicht reden“, sondern sie nur „behandeln“ soll. Und nachdem er dann noch die „spezialisierten Fachärzte“ ins Spiel bringt, jetzt ein Statement von meiner Seite:
Es wird tagaus, tagein viel Unsinn geschrieben, und wenn dieser mein Fachgebiet berührt, dann möchte ich ihn manchmal auch kommentieren. Nicht, weil ich glaube, es würde jemandem helfen oder der Unsinn in der Welt nähme dadurch ab. Aber ich stelle mir gerade folgendes vor: Das Wasser steigt. Die vergifteten Wellen, dunkel und trübe, schlagen mit immer größerer Macht ans Ufer. Dort werden Sandsäcke aufgestapelt, die das Land gegen diese Flut schützen sollen. Sandsäcke der Vernunft, der Besonnenheit, des Wissens, der Gegenwärtigkeit bereits vergangener, verheerender Hochwasser. Ob sie halten werden, ob das helfen wird? Ich weiß es nicht, aber ich will in dem Bewusstsein leben, dass auch meine eigenen Sandsäcke ein Teil des Dammes sind.
Peter Teuschel
Nachtrag 9.1.2017: Roland Tichy hat den Beitrag von Jürgen Fritz von seinem Blog gelöscht und dessen Erscheinen als "Fehler" bezeichnet. Außerdem ist er (Tichy) nicht mehr Herausgeber bei Xing.