Ärztin und Mutter zu sein hat Nachteile. Wie will man bitte Kinder haben, wenn das Studium einen zur Hypochondrie erzogen hat? Der Trinkflaschen-Austausch sollte im Kindergarten unter Strafe gestellt werden. Überall Keime! Und kann ich nicht gleich mein eigener Gynäkologe sein?
Mein Blog heißt „Kind und Kittel“ – Mama ist Ärztin und andere Probleme. Da könnte ich eigentlich auch schon aufhören, denn das sagt schon alles. Wie will man bitte Kinder haben, wenn das Studium einen zur Hypochondrie erzogen hat?
Jede Krankheit, die besprochen, analysiert und unter dem Mikroskop visualisiert wurde, traf mich auch. Wer mal seinen Speichel unterm Mikroskop gesehen hat, möchte fortan nur noch in einem hermetisch abgeriegeltem Raum wie eine Fledermaus von der Decke hängen und weder andere Menschen, noch Gegenstände berühren.
Allein die Schwangerschaft ist unerträglich
Wie soll man ohne ein eigenes Sonographie-Gerät neun bzw. zehn Monate schwanger sein? Wie soll man diese Zeit überleben, wenn nicht ab und zu ein Kollege einen Herzultraschall macht, um die Belastung des eigenen Körpers gut im Blick zu haben? Unmögliche Entscheidungen sind zu treffen: Zum Beispiel, ob man sich beim ersten postiven Frühschwangerschaftstest inklusive serologischem Nachweis von ß-HCG und täglichem Ultraschall eine Beleghebamme oder doch lieber einen Beleggynäkologen erkämpft.
Da es letzteres zu meinem Bedauern nicht gibt, wurde es die Beleghebamme. Notfalls kann diese ausführen, was ich ihr rate. Wer die Küche eines Restaurants kennt, der kocht am besten selber oder wählt genau den Koch, den er möchte. Sinnvoll wäre es also gewesen verschiedene Hebammen bei Entbindungen zu begleiten und je nach Qualifikation den Zuschlag zu vergeben.
Unser Gesundheitssystem lässt dies aber nicht zu, man darf ja bald froh sein, wenn es überhaupt noch Hebammen gibt. Da ich nicht gleichzeitig entbinden und die Geburt mit allen mir zur Verfügung stehenden Geräten überwachen konnte, musste ich den zweiten Part schweren Herzens abgeben. Andersrum wäre mir lieber gewesen. Allein zur Qualitätssicherung.
Könnte ich nicht meine eigene Gynäkologin sein?
Es wurde mir aber auch rasch klar, dass neun/zehn Monate nicht ausreichen, um sich das gesamte gynäkologische Fachwissen anzueignen. YouTube verdeutlichte mir zudem, dass ich für manche Handgriffe nicht gelenkig genug wäre, um sie selbst zu machen. Ein Segen ist es als Schwangere auf „natürliche Vorgänge“ und die „innere Stimme“ zu vertrauen. Von Stimmen halte ich ja nichts, das erinnert mich gleich an meine Sitzwachen in der Psychiatrie, wo ich mir das notwendige Geld für das Studium dazuverdiente.
Ich wählte meine Geburtsklinik also nach mir speziellen Kriterien aus:
Die höchstkomplizierte Wahl des Wurfplatzes
Während andere Ihre Tageszeitung durchblätterten, las ich Statistiken über Häufigkeit von resistenten Keimen. Ein direkter Zusammenhang von Unterbesetzung des Personals und Auftreten von MRSA, ESBL, EHEC, Mord und Totschlag lag klar auf der Hand.
Meine Mit-Schwangeren aus dem Geburtsvorbereitungskurs wählten ihren Wurfplatz nach Tapetenfarbe, Auswahlmöglichkeit der ätherischen Düfte, Stillfreundlichkeit und nach der Frage, ob Sitzball, Gebärhocker, Seil, Multifunktionsbett und Wanne vorhanden sind. Ich erkundigte mich, wie lange die Kollegen der Anästhesie brauchen bis die PDA sitzt. Quasi die Needle-to-birth-time. Was für ein sinnloser Trend, sich ein Krankenhaus mit niedriger Kaiserschnittrate zu wählen. Mein Anspruch waren Gynäkologen, die ausreichend Kaiserschnitte machen, dass jeder kleinste Assistenzarzt das ratzfatz machen kann und wenn er noch so schlaftrunken und lustlos ist.
Mit der Geburt hat es sich noch lang nicht erledigt
Wenn man also die Gefahren der Schwangerschaft und Geburt überlebt hat, steht einem das nächste Problem bevor. Die Kinder werden gewogen, zur Kontrolle des Gewichtsverlustes. Wie kann das nur so unprofessionell geschehen? Hätte ich das gewusst, wäre ich persönlich vor dem Entbindungstermin hingegangen und hätte alle Waagen selber eichen lassen. Hier mal 5 Gramm mehr oder weniger, als Ursache von Waagen-Wechseln, ist nichts für einen Menschen der Wissenschaft.
Jemand, der jahrelang Excel-Tabellen für einen Doktortitel eingepflegt hat, der bekommt einen hektischen Blick und benötigt fortan eine Zahnknirschschiene. Jemand der in Chemieblock hundertste Millimeter titrieren musste und der dort gelernt hat, wie groß der Unterschied zwischen einem Gramm mehr oder weniger sein kann, der möchte laut „DILETTANTEN“ schreien.
Es ist auch nicht so, dass das Elend nach der Geburt ein Ende hätte. In Urin badende Kinder beim Pekip, die Körperflüssigkeiten miteinander austauschen, bereiten mir Alpträume. Sandessende Säuglinge auf dem Spielplatz lassen mich über Sporen sinieren und darüber, wie resistent sie allen Witterungseinflüssen gegenüber sind.
Warum kennen Eltern die Krebsregisterzahlen nicht?
Ein Blick auf einen Wasserspielplatz lässt erahnen, dass die meisten Eltern nicht die aktuellen Krebsregisterzahlen kennen. Wieso gibt es in Kindergärten keine Hygieneschulung für die Erzieher, damit der Austausch von Trinkflaschen strengstens unter Strafe gestellt wird? Gerne auch mit Ausschluss des Kindes aus der Einrichtung, bei wiederholter Nichtbefolgung.
Warum sind die Inkubationszeiten für Magen/Darminfekte eine Gefühlssache unter Eltern? „Eine Mutter kennt ihr Kind“, heißt es da. Ha! Nichts weiß sie – ohne einen Blick in die aktuellen Leitlinien der Infektiologie. Muss man das Kind dringend in der Einrichtung abgeben, war es „das Eis von vor letzter Woche“, weswegen sich das Kind auf dem Weg zur Kita übergeben hat. Wenn das Wetter ins Freibad lädt, kann so etwas auch schon mal eine Woche lang auskuriert werden. Ein Krankenhaus würde sich mit solchen schwammigen Quarantäne-Maßnahmen morgen in der „Bild“-Zeitung wiederfinden. Einige fanden sich dort wegen weniger schlimmer Verstößen wieder.
Und dann diese Globuli ...
Und zuletzt, was soll das mit diesen Globuli? Aus reinem Gruppenzwang musste mir eine Bekannte ein Globuli-Täschchen, für meine mittlerweile etwas größere Sammlung, nähen. In diesem optisch durchaus was hermachendem Ding bewahre ich also diesen verdünnten Zucker auf, nicht dass Zucker sonst eigentlich ein Unwort unter Eltern wäre, hier ist es ein „Must-have“ und man ist raus, wenn man nicht mindestens Arnica, Osanit, Phosphor, Aconitum, Arnica, Belladonna Pullsatilla und und und hat. „Hast Du mal drei Arnica?“ – Welche Mutter hat das nicht schon mal gehört? Ist genauso doof an dieser Stelle „Nein“ zu sagen, wie früher auf die Frage „Hast Du mal ein Feuerzeug?“. Egal ob man geraucht hat oder nicht, man hatte eins dabei. Das gehört zum guten Ton dazu.
Weiß denn niemand außer mir, dass es keine validen Daten und ausreichend große Studien im Doppel-Blind-Versuch zu Globuli gibt? Also fliegen wir im Doppel-Blind-Flug durch die Globuli-Hölle und machen einfach mal mit. Was soll der Zucker schon schaden, außer beim Karies- und Diabetes-Ding? Bei näherem Hinsehen gefährde ich mein Kind, nur um dazu zu gehören zu wollen.
Dass unsere Kinder STIKO konform geimpft sind, verschweige ich auch ganz klar. Bei Fragen zu diesem Thema, verweise ich immer auf „Ärzte für alternative Impfentscheidungen“. Sollen die sich doch damit rumschlagen.
Gesegnet seien die Mütter, die nicht wissen was in Ihrer Spucke schwimmt und dass ein angelutschter Löffel in einem vergessenem Jogurtbecher den schleichenden Tod darstellen kann. In diesem Sinne, Augen auf bei der Berufswahl.
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