Kein Arzt ist vor Sympathie oder Antipathie gegenüber einem Patienten gefeit. Dies kann dazu führen, auch wenn es vielleicht nicht so sein sollte, dass die Behandlung manchmal anders ausfällt und man sich mehr für den einen Patienten einsetzt und versucht, unliebsame Patienten schneller loszuwerden.
Clemens Sedmak schreibt in seinem Buch „Mensch bleiben im Krankenhaus“, dass der Lackmustest für eine Ethik des alltäglichen Gesprächs schwierige Patienten sind. „Die Anständigkeit einer Insitution [...] zeigt sich in widrigen Situationen“; also dann, wenn es nicht glatt geht, wenn der Alltag mühsam oder holprig ist, wenn wir Sand im Getriebe haben. Solch’ Sand können etwa „schwierige Menschen sein“, so Sedmak weiter.
Von solch einem Patienten handelt mein nächster Fall. In der Notaufnahme stellte sich dieser ältere Herr in Begleitung seiner Ehefrau vor.
Ein schwieriges Gespräch
„Guten Tag, Neuro?Logisch! mein Name. Was führt Sie zu uns?“
„Guten Tag. Wie bitte?“
„Neuro?Logisch! mein Name. Was fehlt Ihnen?“
„Sie müssen wissen, ich höre sehr schlecht. Wenn ich etwas nicht verstehe, werde ich einfach ‚Wie bitte?‘ sagen, ist das in Ordnung für Sie?“
Ich stimmte zu, wusste aber zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass mich dieses Zugeständnis noch zur Weißglut bringen würde.
„Also was fehlt Ihnen nun?“
"Nun ja, ich bin so kraftlos, den ganzen Tag müde, kann mich nicht richtig konzentrieren. Das geht seit Wochen schon so. Manchmal ist mir auch so schwindelig, dass ich mich festhalten muss.“
„Ist es mehr ein Dreh- oder Schwankschwindel?“
„Wie bitte?“
„Ob es sich eher dreht oder wie auf einem Schiff ist? Wie lange ist Ihnen dann schwindelig? Ist Ihnen übel dabei?“
„Eher ein Schwanken, kein Drehen. Ja und dann bin ich so müde, kann mich wirklich zu nichts aufraffen. Wie bitte? Den Rest habe ich nicht verstanden.“
„Nun gut, ich untersuche Sie einfach mal. Können Sie bitte aufstehen, die Beine eng zusammenstellen und die Augen schließen?“
„Ich machs Ihnen mal vor. Gut, und jetzt mal auf der Stelle marschieren!“
Es folgt die körperliche Untersuchung
Nun, ich möchte diesen Dialog nicht weiter ausführen. In der Notaufnahmesituation war es mit diesem Patienten furchtbar mühsam, zum einen eine schnelle gezielte Anamnese durchzuführen und zum anderen den Patienten auch gut zu untersuchen.
Summa summarum fand ich folgende Auffälligkeiten: Kraftgrad linksseitig vermindert so 4/5, außerdem Seiltänzergang unsicher und Unterberger-Tretversuch mit ungerichteter Fallneigung.
Der Patient war schon bei einigen Ärzten gewesen, so auch bei einem Neurologen, der aufgrund der Gangunsicherheit eine MRT der HWS und LWS anfertigen ließ. Sogar eine Myelographie mit der Frage Spinalkanalstenose wurde durchgeführt. Hier keine erklärbare Ursache.
Da mir das Ganze sehr spanisch vorkam, ich aber auch ad-hoc keine Arbeitsdiagnose formulieren konnte, rief ich einen Oberarzt dazu, der diesen Patienten auch mehrmals gesehen hatte und gut kannte. Dieser meinte nur, klassische F-Diagnose, „aber nehmen Sie ihn mal auf, der gibt ja doch keine Ruhe.“
Beim Durchgehen der Medikamentenliste fragte ich, ob er das Phenprocoumon auch regelmäßig nehme. „Strikt nach Plan“, war die Antwort. Der gute INR bestätigte dies.
Und dann doch ein überraschender Befund
Am nächsten Tag fertigten die Kollegen auf Station dann doch noch ein kraniales CT an und – hoppla – was war denn das? Ein ausgedehntes Subduralhämatom mit fast 1 cm Mittellinienshift zeigte sich da. In der Re-Exploration berichtete der Patient von einem Sturz, circa drei Monate zuvor.
So wurde aus einer klaren F-Diagnose eine S-Diagnose, genauer eine S06.5.
Hätte man dies früher rausfinden können? Wahrscheinlich schon. Hätte ich gleich in der Notaufnahme ein CT machen sollen. Vielleicht.
Was ich daraus gelernt habe ist, dass es besonders wichtig ist, schwierige Patienten, auch wenn sie schon mehrere Arztkontakte vorher hatten, ernst zu nehmen und dem Patienten so eine Chance zu geben und ihn mit Respekt zu behandeln. F-Diagnosen bedürfen immer der Ausschlussdiagnostik.
Und wieder einmal hätte einem auch die Anamnese schon viele Hinweise liefern könen. Auch die körperliche Untersuchung war unerlässlich.