Es folgt ein Beispiel von vielen, das zeigt, wie Apotheken mit Lieferunfähigkeitsproblemen umgehen: Vor einiger Zeit bekamen wir ein Rezept aus der Kinderklinik für ein zweijähriges Kind. Verordnet war Clindamycin Trockensaft 3 x tägl. 80 mg für 14 Tage. Das sind 3 x 80ml Sobelin (Pfizer Original) oder ClindaLich (Generikum) Trockensaft.
Wir kennen diese Verordnung schon, der kleine Patient erhält sie nicht zum ersten Mal. Clindamycin ist der einzige Wirkstoff der bei der vorliegenden Erkrankung hilft, und Trockensaft deswegen, weil ein zweijähriges Kind noch keine Hartkapseln schlucken kann.
So weit so schlecht, denn unsere Großhändler konnten uns weder das Original noch das Generikum liefern, es war alles ausverkauft. Nun war guter Rat teuer. Ich klapperte erstmal alle Apotheken im Umkreis ab und fragte, ob vielleicht irgendeine noch einen Saft parat hatte – nichts zu machen.
Hilfe vom Hersteller – ist ja naheliegend, oder?
Als nächstes rufe ich Pfizer an und frage an, ob die mir aus der eventuell vorhandenen „eisernen Reserve“ noch einen Trockensaft abzwacken können, doch da gibt es angeblich nichts mehr. Ich lasse mich mit dem medizinischen Dienst der Firma verbinden und frage, wie ich weiter vorgehen kann. Hartkapseln gibt es ja, vielleicht könnte man die aufmachen und einen Saft selbst herstellen? Die Dame am Apparat sagte mir, dass das grundsätzlich zwar möglich sei, sie als Herstellerfirma aber davon abraten und im Übrigen auch jede Verantwortung ablehnen, wenn so verfahren wird. Sie fragte, ob sie noch etwas für mich tun könne. Ich seufzte und sage resigniert: „Ach, wissen Sie, Sie können mir verraten, warum Ihre Firma es schafft mit dem Wirkstoff Hartkapseln herzustellen, aber keinen Trockensaft für Kinder. Das muss ich jetzt nämlich der Mutter erklären, wo doch die Ärzte nach wochenlanger Sucherei endlich etwas gefunden hatte, das ihrem Kind hilft.“
Da fällt ihr nichts mehr dazu ein, der guten Frau, was soll sie auch dazu sagen. Ich frage sie noch, ob es im benachbarten Ausland vielleicht noch Clindamycin Trockensäfte gibt – Bingo. In der Schweiz und in Österreich werden welche vermarktet. Also ein schneller Anruf bei „Pharma International“ und die Frage, ob diese lieferbar sind. Sind sie. Wir benötigen dann nur ein Rezept für eine Auslandsbestellung und müssen einen Kostenvoranschlag bei der betreffenden Krankenkasse einreichen. Wenn dieser genehmigt wird, was nicht gesagt ist, denn das Medikament gibt es ja – theoretisch – in Deutschland auch, können wir bestellen und erhalten dann frühestens eine Woche nach Bestelleingang das gewünschte Medikament.
Müssen wir vielleicht doch selbst ran?
Bei allem Verständnis, das dauert einfach zu lange. Bis dahin geht es unserem kleinen Patienten sicher gar nicht mehr gut. Was also tun? Wir überlegen, vielleicht doch selbst einen Saft herzustellen und berechnen die benötigte Menge. Wenn wir 12 Hartkapseln mit 300 mg Wirkstoff nehmen und auf 225 ml Wasser verteilen, müsste die Mutter 3 x täglich 5 ml abmessen, das könnte funktionieren. Aber was ist mit dem Geschmack? Ist sicherlich ziemlich bitter das Zeug.
Aus meiner Erfahrung in einer Apotheke, die Methadon abgegeben hat, weiß ich, dass untergemischter Himbeersirup das Bittere recht gut kaschiert. Aber in den Kapseln befinden sich auch noch Füllstoffe. Talkum ist zum Beispiel überall mit drin, und das löst sich ja nicht, bleibt als Bodensatz in der Flasche und muss jedes Mal aufgeschüttelt werden. Und wie sieht es mit der Haltbarkeit aus? Wie lange bleibt der Wirkstoff stabil? Müssen wir jeden Tag frisch eine kleine Menge herstellen oder können wir gleich für eine oder sogar für zwei Wochen eine Rezeptur machen, wenn wir sie in den Kühlschrank stellen?
Manchmal muss es unbürokratisch sein
Wir rufen beim NRF an und fragen dort nach, doch auch hier fehlen leider die Erfahrungswerte. Und jetzt? Der Chef startet in verschiedenen Facebook-Foren einen Aufruf, ein letzter Versuch. Und tatsächlich! Aus dem hohen Norden meldet sich eine Apotheke, die tatsächlich noch drei Trockensäfte auf Lager hat! Der Apotheker verspricht, sie sofort per Post loszuschicken, was bedeutet, dass wir sie am Mittwoch in den Händen halten. Somit muss unser Patient nur einen Tag ohne Antibiotikum auskommen. Unbürokratische Hilfe unter Kollegen – einfach Klasse!
Auf den Portokosten bleiben wir sicherlich sitzen, die zahlt die Kasse nicht. Ebensowenig wie die Zeit, die für die Telefonate und die Überlegungen und Rechnereien draufgegangen ist. Verdient haben wir somit an diesem Rezept gar nichts, nur draufgelegt. Aber das ist eben der Preis für das gute Gefühl, geholfen zu haben. Dafür sind wir nämlich da, um Lösungen und Hilfe für kranke Menschen zu bieten,und das unterscheidet uns von einem reinen Versandhandel aus dem Internet. Auch deswegen ist die Apotheke eben nicht so leicht zu ersetzen!