Etwa jede dritte Frau und jeder fünfte Mann entwickelt irgendwann ab dem 50. Lebensjahr eine Osteoporose und die Fallzahlen steigen weltweit. Die International Osteoporosis Foundation nennt zehn Versorgungslücken bei Diagnostik sowie Behandlung und zeigt Lösungsansätze auf.
Osteoporose ist eine schleichende Krankheit. Sie zeigt in den meisten Fällen keine Symptome – bis es irgendwann zu einem Knochenbruch kommt. In Deutschland sind schätzungsweise acht Millionen Menschen von der Erkrankung betrofffen, es wird jedoch von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Etwa jede dritte Frau und jeder fünfte Mann entwickelt irgendwann ab dem Alter von 50 Jahren eine Osteoporose. Typisch für die Erkrankung sind eine verringerte Knochendichte und eine Zerstörung der Mikroarchitektur des Knochengewebes. Das führt dazu, dass schon leichte Stöße oder Stürze zu Knochenbrüchen führen. Am häufigsten treten die Brüche an Wirbelkörpern, am Handgelenk und an der Hüfte auf, gefolgt von Brüchen des Beckens, des Oberarms und des Unterschenkels. Die Frakturen können vor allem im höheren Lebensalter zu lang anhaltenden Schmerzen und verringerter Beweglichkeit führen und die selbständige Lebensführung einschränken. Ein aktueller Bericht der International Osteoporosis Foundation (IOF) macht nun darauf aufmerksam, welche gesundheitlichen Belastungen und Kosten durch Osteoporose entstehen. Dabei nennt der Bericht zehn Versorgungslücken bei der Diagnostik und Behandlung und zeigt gleichzeitig Lösungsansätze auf.
So erleiden etwa 50 Prozent derjenigen, die bereits einen osteoporosebedingten Knochenbruch hatten, weitere Frakturen. „Allerdings werden bei 80 Prozent der Betroffenen keine Vorsorgemaßnahmen gegen weitere Knochenbrüche getroffen“, heißt es im Bericht. „Obwohl solche Brüche weltweit eine Bedrohung darstellen und es effektive und kostengünstige Behandlungsmöglichkeiten gibt, bestehen große Versorgungslücken, die bei Millionen Menschen eine Diagnosestellung und Therapie verhindern.“ Durch die zunehmende Alterung der Bevölkerung, die wachsende Weltbevölkerung und eine steigende Lebenserwartung in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern werden osteoporosebedingte Knochenbrüche in den kommenden Jahrzehnten dramatisch zunehmen, heißt es im Bericht. „ Auf uns kommt ein Knochenbruch-Tsunami zu, der in allen Länder mit alternder Bevölkerung zu enormen menschlichen und finanziellen Belastungen führen wird“, sagt Eugene McCloskey vom Northern General Hospital im britischen Sheffield, einer der Koautoren des Berichts. „So wird weniger als die Hälfte der Senioren, die eine Hüftfraktur erleiden, wieder ohne Hilfe gehen können, und bis zu 20 Prozent werden im ersten Jahr nach dem Knochenbruch in ein Pflegeheim kommen.“
Der Report zählt zehn Versorgungslücken in vier Bereichen auf: Probleme beim Erkennen und beim Umgang mit behandlungsbedürftigen Patienten: 1. bei der Prävention sekundärer Frakturen 2. bei Osteoporose, die durch Medikamente ausgelöst wird 3. bei Osteoporose, die in Zusammenhang mit anderen Erkrankungen auftritt 4. bei der Prävention erstmaliger Knochenbrüche bei Menschen mit erhöhtem Knochenbruch-Risiko Nicht-optimale Kommunikation und geringes öffentliches Bewusstsein: 5. mangelndes Wissen um die Wichtigkeit, eine verschriebene Behandlung beizubehalten 6. geringes öffentliches Bewusstsein für die Bedeutung von Osteoporose und Knochenbruchrisiko 7. mangelndes Wissen über Nutzen und Risiken einer Osteoporosetherapie Vernachlässigung des Themas von Regierungen und Gesundheitssystemen: 8. erschwerter Zugang zu Osteoporosediagnostik und -therapie und fehlende Kostenerstattung 9. fehlende Priorisierung des Themas in der nationalen Gesundheitspolitik Mangel an epidemiologischen Daten: 10. fehlende Daten zu Häufigkeit von Osteoporose und Knochenbrüchen, vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern Diese Versorgungslücken bestehen laut Bericht auch in vielen entwickelten Ländern – unter anderem in Deutschland. So werden laut einer Studie in der EU und auch in Deutschland deutlich mehr Menschen, bei denen eine Osteoporose-Behandlung indiziert wäre, nicht behandelt als behandelt (siehe auch S. 17 im Bericht).
Gleichzeitig zeigt der Bericht Lösungsansätze auf, die von nationalen Gesundheitsbehörden weltweit eingeführt werden könnten. So gebe es seit den 1990er Jahren ein großes Spektrum effektiver Behandlungsansätze. Allerdings hätten in den letzten 10 Jahren Medienberichte über seltene Nebenwirkungen dazu geführt, dass solche Medikamente deutlich seltener verschrieben würden, so der Report. „Dennoch gilbt: Der Nutzen einer Behandlung bei Patienten mit hohem Knochenbruchrisiko überwiegt deutlich den möglichen Schaden“, betonen die Autoren. Ärzte sollten Nutzen und Risiken einer Behandlung bei jedem Patienten individuell abwägen und beides ausführlich mit dem Patienten besprechen. Ein wichtiger Schritt, um Osteoporose rechzeitig zu erkennen und zu behandeln, könnte die flächendeckende Einführung so genannter Fraktur-Verbindungsstellen (Fracture Liaison Service, FVS) und orthopädisch-geriatrischen Diensten sein. Solche Versorgungsmodelle wurden bereits in Ländern wie etwa Großbritannien, den USA und Kanada, Australien, Singapur und Japan eingeführt. Orthopädisch-geriatrische Dienste sollen sicherstellen, dass Patienten, die wegen eines Hüftbruchs stationär behandelt werden, von erfahrenem orthopädischen und geriatrischen Personal behandelt werden. Eine FVS soll gewährleisten, dass bei allen Patienten über 50 Jahren, die wegen eines Knochenbruchs durch geringe Belastung in Behandlung sind, das Knochenbruchrisiko bewertet und ggf. eine Osteoporose-Behandlung durchgeführt wird. Gleichzeitig werden in beiden Einrichtungen Maßnahmen zur Vorbeugung weiterer Knochenbrüchen durchgeführt. So werden die Patienten über den Umgang mit Osteoporose und die Vorbeugung von Stürzen aufgeklärt.
Letztliches Ziel sei es jedoch, bereits den ersten Knochenbruch zu vermeiden, betonen die Autoren des Berichts. Um Menschen mit hohem Frakturrisiko zu erkennen, könnten routinemäßig Instrumente zur Bewertung dieses Risikos eingesetzt werden, etwa das WHO Fracture Risk Assessment Tool (FRAX). Hier wird mithilfe der Ergebnisse einer Knochendichtemessung und eines Fragebogens das Risiko berechnet, in den kommenden zehn Jahren einen osteoporosebedingten Knochenbruch zu erleiden. Weiterhin sollte bei Erkrankungen, bei denen häufig Osteoporose als Folgeerkrankung auftritt, standardmäßig eine Osteoporose-Abklärung erfolgen. Hierzu gehören etwa Autoimmunerkrankungen , hormonelle und endokrine Störungen, Krebs oder AIDS. Bei Medikamenten, die sich negativ auf die Knochengesundheit auswirken können, sollten die Leitlinien zur Vermeidung von Knochenmasseverlust beachtet werden. Dies gelte zum Beispiel für Glukokortikoide, Magensäureblocker (Protonenpumpenhemmer), Chemotherapien und Antihormontherapien in der Krebstherapie. Doch auch wenn das Risiko erkannt und eine Therapie eingeleitet wurde, bricht etwa die Hälfite der Patienten die Behandlung innerhalb eines Jahres ab oder hält sich nicht an den Therapieplan. Hier sei es wichtig, die Therapietreue zu fördern, etwa durch Schulungen der Patienten oder vereinfachte Dosierschemata. Entscheidend sei auch die Aufklärung der Öffentlichkeit zum Thema Knochengesundheit mit klaren, überzeugenden Botschaften. So ergab eine Untersuchung, dass viele Patienten Osteoporose mit Arthrose verwechselten und häufig annahmen, Osteoporose sei eine normale Folge des Alterns. Vielen Menschen sei auch der Zusammenhang zwischen Osteoporose und dem erhöhten Knochenbruchrisiko nicht klar, heißt es im Bericht.
Schließlich sollte die Vorbeugung von Osteoporose in allen Ländern zum nationalen Gesundheitsziel erklärt werden, so die Autoren. Es sollte sichergestellt werden, dass Knochendichtemessungen flächendeckend verfügbar seien und die Diagnostik und Behandlung von den Krankenkassen übernommen würden. In der EU und Deutschland ist dies zwar überwiegend der Fall – großer Verbesserungsbedarf besteht hier jedoch in den Entwicklungs- und Schwellenländern. „Wir bitten die politischen Entscheidungsträger und Gesundheitsfachkräfte dringend, zusammenzuarbeiten, um regionale Versorgungslücken aufzudecken“, appelliert IOF-Präsident John A. Kanis. „Die Zeit für eine optimalen Umgang mit der Knochengesundheit ist jetzt – nicht erst in zehn oder zwanzig Jahren, wenn es schon zu spät sein wird.“ Zur Vorbeugung von Osteoporose gelten vor allem ausreichend Vitamin D und Calcium und regelmäßige Bewegung als wichtig – denn Belastung regt die Bildung neuer Knochensubstanz an.