„5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen.“ Vielleicht kennt der ein oder andere von euch dieses Buch von Brionny Ware, einer australischen Palliativpflegerin. Ich muss zugeben, dass ich es selbst noch gar nicht gelesen habe und es bislang (wie so viele andere Bücher auch) noch auf meiner imaginären Leseliste steht.
Aber schon der Titel sagt ja, worum es geht, und die fünf Dinge, die am Ende des Lebens allgemein am meisten bereut werden, habe ich schon mal gegoogelt. Und konnte allein aus dieser Liste einige alltagstaugliche Erkenntnisse für mich selbst ziehen. Nun habe ich darüber nachgedacht, wie eine solche Liste wohl aussehen würde, wenn man sie ein klein wenig verändern würde: „5 Dinge, die Approbierte am meisten bereuen.“ Was sind Dinge, die wir am Ende des Studiums bereuen werden oder bereuen könnten? Und die es also zu vermeiden gilt?
„Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meine eigenen Schritte in den Lehr- und Wanderjahren zu machen.“
Selbst entscheiden. Soweit ich das beurteilen kann, gibt es viele, denen die Entscheidung für 'den einen richtigen Weg' nach Abschluss der Schule ziemlich schwer fällt. Einerseits haben wir den Luxus und das Privileg, vor einer Vielzahl unterschiedlichster Möglichkeiten zu stehen. Andererseits sind da so viele sich widerstrebende Bedürfnisse gleichzeitig: das Bestreben nach Sicherheit, nach Freiheit, nach Unabhängigkeit, nach Verwirklichung, nach Akzeptanz (der Eltern, der Gesellschaft, der Freunde).
Medizinstudenten sind im Großen und Ganzen ziemlich auf Sicherheit bedacht. Die durchaus anstrengenden ersten Studienjahre bedingen ja irgendwo auch, dass man sein Ziel – selbst wenn es noch einige Jahre entfernt liegt – zumindest so klar vor sich sieht, als dass es eine große Motivation darstellt für all die kleinen Details, die es zu bezwingen gilt in diesem interessanten, aber auch sehr faktenreichen Studium.
In der Uni sehen wir dann einerseits die Kliniker vor uns, an denen wir uns orientieren. Promotion, Habilitation; eine Uni-Karriere erscheint als das non-plus-ultra. Andererseits schauen wir nach links und rechts - Anna hat schon im fünften Semester mit ihrer Doktorarbeit angefangen und war letzte Woche auf einem Kongress in Kanada; Christoph hat sein PJ-Tertial in der Schweiz sicher, dabei macht er sein Examen erst in zwei Jahren; Torben hat Erasmus gemacht und will nun unbedingt in Schweden seinen Facharzt machen. Und Linda? Die geht gern feiern und reist in den Ferien durch Südamerika und hat noch nicht ein einziges Wahlfach belegt. Das stresst sie momentan ganz schön!
Wir gehen alle unseren eigenen Weg, der zu uns, unseren Interessen und unseren Begabungen passt. Vielleicht wird Anna später Professorin. Vielleicht ist Christoph einfach super organisiert. Vielleicht fühlt Torben sich in Skandinavien wohl. Vielleicht geht Linda in zehn Jahren mit Ärzte ohne Grenzen in Krisengebiete. Mein Weg sieht anders aus und ist trotzdem genau richtig.
„Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gelernt.“
Natürlich wollen wir alle gute Ärzte sein. Und als Arzt muss man heute sehr viel Wissen anhäufen. Gleichzeitig gibt es auch eine Grenze. Der NC sorgt dafür, dass unsere Kommilitonen und wir selbst mehrheitlich ehrgeizig, fleißig und nicht auf den Kopf gefallen sind. So eine Gruppe kann durchaus auch sehr anstrengend werden, dann nämlich, wenn alle sich gegenseitig noch mehr anspornen, so dass irgendwann Dinge, die es sonst noch so gibt, hintenüber fallen. Kochen, Sport machen, faulenzen; sich auch mal langweilen. Kreative Hobbys ausüben, lesen, feiern (nicht nur die zwei Partys zu Anfang und Ende des Halbjahres), auch mal an einem ganz normalen Abend im Semester.
Vermutlich werden wir uns später auch an die langen Tage in der Bib erinnern, die Nachmittage mit der Lerngruppe, den Stress vor dem Physikum. Aber mehr erzählen und lieber Revue passieren werden wir vermutlich die Pausen dazwischen, die Kochabende (vielleicht auch mit der Lerngruppe), die verrückten Backpacker-Reisen in den Ferien, den faulen Sommertag am See.
„Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meine Gefühle auszudrücken.“
Generell ein wichtiger Punkt; aufs Studium bezogen würde ich mir wünschen, dass wir ehrlich sind uns selbst gegenüber und vor allem auch über Hierarchiestufen hinweg. Der Umgang mit einem Patienten, der uns irritiert, Lästereien übereinander, gar therapeutische Entscheidungen, die uns unvereinbar mit unseren Werten erscheinen. Wann auch immer da etwas nicht passt, lasst es uns äußern.
Denn wenn wir alle unseren inneren Kompass nicht aus dem Blick verlieren, haben wir dann nicht eine schönere und menschlichere Zeit? Und ist es nicht geradezu die Aufgabe der Jugend (also uns), bestehendes zu hinterfragen?
„Ich wünschte mir, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden aufrechterhalten.“
Diesen Punkt gilt es wohl vor allem im Anschluss an das Studium nicht zu vernachlässigen. Denn dass das in den ersten Berufsjahren leicht passieren kann, gerade wenn sich die Kommilitonen über das ganze Land verteilen, ist vermutlich wirklich gut möglich...
Eine Erfahrung, ein Erlebnis, eine Zeit bleibt dann präsent, wenn die Menschen, mit denen man sie geteilt hat, in unserem Leben bleiben. Und irgendwie wäre es doch schon sehr schade, wenn die Studienjahre sonst all zu schnell der Vergangenheit zugerechnet würden. (A apropos: Wie steht es eigentlich mit den Freunden aus Schulzeiten?)
„Ich wünschte, ich hätte mir erlaubt, glücklicher zu sein.“
Wir haben uns unser Studium aus idealistischen Gründen, aus Interesse, aus Begeisterung am Fach ausgesucht. Im Alltag droht das teilweise überschattet zu werden durch die vielen Termine. Seminare, Nebenjob, Doktorarbeit, Klausurenvorbereitung und wieder ist das Semester vorüber. Da lohnt es, zwischendurch mal einen Schritt zurück zu machen, tief durchzuatmen und mir bewusst zu machen, dass ich den Weg gehe, den ich gehen will. Dass es sich lohnt. Und dass sich die kleinen Alltagssorgen über kurz oder lang erledigen werden. Dafür hilft es mir sehr, mich zwischendurch aus dem Mikrokosmos Medizinstudium zu entfernen, andere Freunde zu treffen, Freunde von früher (Stichpunkt Freundschaften erhalten) und aus anderen Kreisen, Familie, Nachbarn, Reisebekanntschaften. Mal mit denen über Medizin zu reden, dann auf eine ganz andere Art. Denn dabei bekomme zumindest ich die Begeisterung für mein Fach und meinen Weg immer wieder sehr deutlich zu spüren.
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