Die Zeit – sie kann manchmal so unglaublich langsam vergehen (meistens, wenn es langweilig ist), manchmal rast sie nur vor sich hin (meistens, wenn es spannend und schön ist). Mein Studium ist bald rum – das ging sehr schnell, aber andererseits ist auch sehr viel passiert. Verrückt!
Es regnet draußen, es ist grau, kalt und ungemütlich – so richtiges Herbstwetter. Nach Monaten voll Aktivität (Doktorarbeit, Unikurse, Famulaturen, Nebenjob, PJ-Planung, Urlaub) habe ich heute NICHTS vor, jedenfalls bis 17 Uhr. Das ist nur noch selten der Fall, denn selbst wenn keine Verpflichtungen rufen, organisiere ich mir meist ein Freizeitprogramm, muss Haushaltsaufgaben erledigen, bin verabredet oder verbringe Zeit mit meinem Freund. Heut ist es anders. „Langeweile muss sein, das brauchen Kinder“, hat meine Oma früher gesagt. Ich glaube, für Erwachsene gilt das genauso! Und genieße meinen Müßiggang.
Studentenzeit
Als Student hat man viel Zeit – zwischen Vorlesungen Kaffee zu trinken ist meist drin, Veranstaltungen können ausgelassen werden („Kannst du morgen für mich unterschreiben?“), kein Vertrag bindet einen, morgens im Büro / auf Station / im Labor zu erscheinen, auch unter der Woche kann ausgeschlafen werden. Das ist richtig. Andererseits ist das Leben bestimmt vom Stunden- und Semesterplänen, ein Lerntag ist erst vorbei, wenn man mit sich selbst zufrieden ist und vor einer Klausur ist Wochenende meist gleichbedeutend mit Bib-Zeit. Nebenbei muss Geld verdient und an der Doktorarbeit gearbeitet werden und die Familie will, dass man sich regelmäßig blicken lässt.
Dennoch – ich genieße es, Studentin zu sein. So intensiv wie jetzt werde ich die Zeit wohl nie mehr erleben. Und das liegt vor allem an der Abwechslung, die wir Studierende genießen: Kurs A, Kurs B, Kurs C, jedes Mal in einer anderen Klinik, täglich neuer Input, dann Klausurenzeit und fette Party, Semesterferien. Neue WG. Fünf Wochen reisen. Auslandssemester, Famulatur in der Hauptstadt, wieder zurück, Kurs D, E und F. Doktorarbeit – neue Leute, neues Umfeld, neue Erfahrung. Endspurt, noch eine Famulatur bei der Familie (zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen!), Kurs G und H, dann die Examensvorbereitung. Schließlich das PJ, es zieht uns deutsche Studenten in die Schweiz, nach Frankreich, in die USA. Wo will ich am liebsten hin? Für die Schweiz sind schon alle Plätze weg? Stress – eindeutig ein Wohlstandsproblem, ich weiß.
Zeitgefühl
Mit all dem ist es für mich bald vorbei. Vor mir liegen jetzt noch der 100-Tage Examens-Lernplan für das 2. Staatsexamen. Anschließend kommt das PJ, das wie im Fluge vergehen wird, und der Berufseinstieg. Ich freue mich darauf, mein Wissen dann anwenden zu können, anzukommen in einem festen Team, Verantwortung zu übernehmen, eine aktive Rolle in der Gesellschaft zu übernehmen, bezahlt zu werden für meine Haupttätigkeit und nicht meinen Aushilfsjob. Aber die Abwechslung des Studentenlebens – die werde ich dann, im Arbeitsalltag, vermissen. Da bin ich mir sicher
Thomas Mann über die Zeit
In seinem Roman „Der Zauberberg“ hat Thomas Mann einen sehr interessanten Abschnitt über das Zeitgefühl und den Zusammenhang zu neuen Orten geschrieben, den ich gerne mit euch teile. Ich habe ihn vor drei Jahren das erste Mal gelesen und muss immer wieder über seine kluge Beobachtung nachdenken.
„Über das Wesen der Langeweile sind vielfach irrige Vorstellungen verbreitet. Man glaubt im ganzen, dass Interessantheit und Neuheit des Gehaltes die Zeit ‚vertreibe‘, das heißt: verkürze, während Monotonie und Leere ihren Gang beschwere und hemme. Das ist nicht unbedingt zutreffend. Leere und Monotonie mögen zwar den Augenblick und die Stunde dehnen und ‚langweilig‘ machen, aber die großen und größten Zeitmassen verkürzen und verflüchtigen sie sogar bis zur Nichtigkeit. Umgekehrt ist ein reicher und interessanter Gehalt wohl imstande, die Stunde und selbst noch den Tag zu verkürzen und zu beschwingen, ins Große gerechnet jedoch verleiht er dem Zeitgange Breite, Gewicht und Solidität, so dass ereignisreiche Jahre viel langsamer vergehen als jene armen, leeren, leichten, die der Wind vor sich her bläst, und die verfliegen.“
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