Ich bin mir bewusst, dass man Berichten von Patientinnen und Patienten in der Psychiatrie nicht immer bedingungslos glauben sollte und darf. Aber umgekehrt ist die unglaubliche Arroganz einiger meiner Berufskollegen bei gleichzeitiger geballter Inkompetenz und Ignoranz in der ambulanten wie stationären Versorgung psychiatrischer Patienten einfach ein Skandal.
Man stelle sich vor, eine Kardiologe würde sich weigern in seinem Fachgebiet sich über Entwicklungen im Bereich Herzrhythmusstörungen oder Blutdruckbehandlung weiter zu bilden. Und behauptet gegenüber seinen Patienten, dass Schröpfen alle Probleme der Welt lösen würde. Würde man einen solchen Kollegen guten Gewissens empfehlen ? Wohl kaum.
Folgenden Fall diskutieren wir gerade in einer ADHS-Gruppe : Eine erwachsene Patientin begibt sich selber zur Krisenintervention in stationäre psychiatrische Behandlung. Sie ist bestens über ADHS im Erwachsenenalter informiert. Bei der Aufnahmeuntersuchung gibt sie korrekterweise an, dass Sie medikamentös mit einem Methylphenidat-Retardpräparat im Rahmen einer multimodalen Therapie behandelt wird. Sie nehme morgens und abends 30 mg Medikinet retard, was ihr gut helfe und einen Rebound-Effekt verhindere. Daher solle diese Behandlung auch im stationären Rahmen möglichst fortgeführtt werden. Die Stationsärztin unterstellt der Patientin jetzt einen missbräuchlichen Einsatz des Psychostimulans. Zwar zweifelt sie nicht die Existenz von ADHS an, scheint sich aber mit Pharmakotherapie nicht so auszukennen. Sie behauptet, dass ein Retard halt 24 h wirke und daher eine 2 mal tägliche Einnahme ein Missbrauch wäre. Das wäre schliesslich genauso wie bei Seroquel Prolog (einem Neuroleptikum). Nun ruft sie beim behandelnden ambulanten Arzt an. Der wiederum ist irritiert, weil er angeblich der Patientin 60 mg (als 2 einzelne Kapseln des Methlyphenidat Retards) morgens rezeptiert habe. In der Folge ergibt sich eine Verbindung des Nicht-Wissens und der Inkompentenz der Ärzte. Beide Ärzte sind sind sich darüber einig, dass die Patientin einen Missbrauch der Medikation betreibt. Und beide Ärzte können mit einem BTM-Medikament, das sie verordnen, überhaupt nicht umgehen. Und die Patientin zweifelt inzwischen an dem Wissen, das Sie sich selber angeeignet hat bzw. durch den Austausch und der Selbsthilfe gefestigt hat. Nun haben leider hier gleich 2 behandelnde Ärzte offenbar weniger Ahnung als die Patientin.
1. Der ambulante Kollege versteht das Prinzip der medikamentösen ADHS-Therapie mit einem Retard nicht. Grundsätzlich nicht, wenn er 2 mal 30 mg einmal morgens geben will. Aber eben auch von der Pharmakokinetik nicht, da 30 mg eben 6-8 Stunden wirken. Und auch 60 mg eben nicht länger, wenn man es morgens gibt.
Seine Patientin wäre eigentlich nie auf den Gedanken gekommen, dass er eine so unsinnige Anordnung meint, wenn er 2 mal 30 mg Medikinet retard rezeptiert. 2. Die stationäre Psychiaterin hat nicht nur keine Ahnung von ADHS im Erwachsenenalter, ihr scheint auch die Bereitschaft zum Zuhören und Eingehen auf den Patienten zu fehlen. Und noch nicht einmal Kollegen aus der im gleichen Haus befindlichen ADHS-Ambulanz hinzu zieht. Schlimmer als Unwissenheit ist es für mich, wenn man dann aber einer psychiatrischen Patientin Manipulation und Lügen unterstellt. Aber selber sich so verhält, dass man Wahrheit und Unwissenheit / Manipulation verdreht. Ist das nun eine Ausnahme ? Ein böser Einzelfall ? Glaubt man Berichten von Patientinnen und Patienten im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie wie Erwachsenenpsychiatrie, dann ist es leider viel zu häufig anzutreffen, dass sich Ärzte schlicht und ergreifend nicht fortbilden bzw. mit absoluten Grundlagen des Fachgebietes vertraut sind. Dafür mag es Gründe oder Entschuldigungen geben. Aber sich dann so aggressiv und unprofessionell gegenüber dem Patienten zu verhalten, halte ich für nicht entschuldbar. Leider ist aber diese Arroganz gerade im sensiblen Fachgebiet der Psychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie gegenüber Eltern wie erwachsenen Patienten noch nicht getiligt. Und die Macht-Hierarchie immer noch nicht gebrochen. Zuhören und Handeln auf Augenhöhe ? Geht offenbar immer noch nicht.... Traurig