Vor mehr als einer Woche haben Richter aus Luxemburg die Rx-Preisbindung für ausländische Versandapotheken gekippt. Standesvertreter rufen unisono ihren großen Bruder Gesundheitspolitik um Hilfe. Auf die eigenen Stärken bauen sie nicht.
„Für die deutschen Apothekerinnen und Apotheker ist das Urteil eine ganz böse Überraschung“, sagt ABDA-Chef Friedemann Schmidt. „Aus unserer Sicht ist jetzt die Politik am Zug.“ Deutschland solle die Hoheit zur Gestaltung des Gesundheitswesens nicht aus der Hand geben. Er spricht vom „Einfallstor für Rosinenpicker“, das „schnellstens geschlossen“ werden müsse. Einmal mehr bittet die ABDA Politiker, Apotheken vor den Widrigkeiten des Marktes zu schützen.
Deshalb verschicken Apotheker jetzt Postkarten an Wahlkreisabgeordnete oder verbreiten Weltuntergangsszenarien im Handverkauf. Großflächige Anzeigen erschienen unter anderem in der „Süddeutschen Zeitung“. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt, DAV-Präsident Fritz Becker sowie der BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer haben sich umgehend mit Hermann Gröhe getroffen. Auch der Gesundheitsausschuss des Bundestags plant Gespräche. Standesvertreter verfolgen als Strategie, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Präparaten wieder zu unterbinden. Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) arbeitet auf Länderebene an einem ähnlichen Vorstoß. Unterstützung erhält sie aus Hessen und Nordrhein-Westfalen. Kampagnenmotiv der ABDA (Ausschnitt). Quelle: ABDA, Screenshot: DocCheck „Das Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln in Deutschland wäre europarechtlich zulässig“, so Schmidt. Lediglich sieben von 28 EU-Mitgliedsstaaten erlauben den Versand verschreibungspflichtiger Präparate. Dazu gehören außer Deutschland noch Dänemark, Estland, Finnland, die Niederlande, Schweden und Großbritannien. Der Großteil aller Länder macht vom Recht, selbst Rahmenbedingungen zu definieren, Gebrauch. Am 11. Dezember 2003 stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) klar, lediglich bei OTCs verstoße ein Verbot gegen geltendes Recht. Ähnliche Argumente sind in der EU-Richtlinie 2011/62 zu finden.
Ein Versandverbot müsste jedenfalls gut begründet werden. Eingriffe in die Berufsfreiheit haben vergleichsweise hohe Hürden. Daran sind Vorstöße in der Vergangenheit bereits gescheitert. Rechtssicherheit wird es auch hier erst nach Jahren geben, ein weiteres EuGH-Urteil will niemand ausschließen. In der Zwischenzeit wären zumindest keine Selektivverträge mit Versendern möglich. Ob es Berliner Standesvertretern nur um sichere Arzneimittel geht, ist fraglich. Beispielsweise landete gefälschtes Omeprazol über die normale Lieferkette in Präsenzapotheken. Beweise, dass EU-Versandapotheken tatsächlich zu erhöhten Risiken führen, sind alle Beteiligten bislang schuldig geblieben. Friedemann Schmidt argumentiert auch eher wirtschaftlich: „Wir sollten keine weiteren Apothekenschließungen riskieren. Die Apothekendichte liegt in Deutschland schon heute unter dem europäischen Durchschnitt.“ Europaweit sind es 31 Apotheken pro 100.000 Einwohner, in Deutschland 25, in Frankreich 33, und in Italien 30. Welche Aussagekraft der Durchschnitt haben soll, ist umstritten. Der EuGH hatte sich mit pauschalen Argumenten nicht zufrieden gegeben und konkrete Zahlen eingefordert.
Sabine Dittmar (SPD) bezweifelt, dass sich der Rx-Versandhandel einfach verbieten lässt. Sie stellt sich auch auf die Seite von Verbrauchern. „Wenn wir heute in den Supermärkten bereits Erkältungsmittel kaufen können, können wir den Verbrauchern den Versandhandel kaum wieder wegnehmen“, so Dittmar. Experten sehen noch weitere Möglichkeiten. Sie argumentieren mit dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach Paragraph 129 Absatz 2 SGB V. Sowohl der Deutsche Apothekerverband als auch der GKV-Spitzenverband haben das Dokument unterzeichnet. In Paragraph 2b (Beitritt ausländischer Apotheken zum Rahmenvertrag) steht: „Für Abrechnungen unter den Voraussetzungen nach Satz 1 gelten die Preisvorschriften nach Paragraph 78 Arzneimittelgesetz sowie Paragraph 7 Heilmittelwerbegesetz (sog. Rabattverbot).“ Paragraph 78 AMG ist wiederum die Grundlage für fixe Preise bei verschreibungspflichtigen Medikamenten. Halten sich Versender aus anderen EU-Staaten nicht an die Regelungen, könnten die Vertragspartner, sprich der DAV und der GKV-Spitzenverband, gegen sie vorgehen. Das betrifft PKVen zwar nicht. Deren Versicherte müssten jedoch streng genommen alle Boni ihrer Versicherung melden.
Heimische Versender sind mit diesen Handlungsoptionen nicht einverstanden. „Nach diesem Urteil muss der Grundsatz der Gleichbehandlung gelten“, schreibt der Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA) in einer Mitteilung. „Es kann nicht sein, dass es nach dem EuGH-Urteil zu einer Inländerdiskriminierung kommt. Warum sollten deutsche (Versand-)Apotheken etwas nicht dürfen, was Versender aus anderen europäischen Ländern dürfen?“ Gleichzeitig bläst der Verband zum Angriff auf die Preisbindung. „Sollte eine Versandapotheke, die Mitglied bei uns ist, Rx-Boni anbieten, abgemahnt und ggf. verklagt werden, steht der BVDVA beratend zur Seite“, heißt es weiter.
Bleibt als Fazit: Einmal mehr rufen Pharmazeuten nach der Legislative oder Judikative, anstatt sich auf eigene Stärken zu besinnen. Präsenzapotheken liefern Arzneimittel schnell – oftmals schneller als Versender. Sie bieten Patienten niedrigschwellige Beratungen ohne Wartezeit an. Und sie stellen Rezepturen her beziehungsweise geben BtM ab. Diese Argumente hört man von Standesvertretern derzeit nicht. Sogar die Politik liefert ungefragt Lösungen auf dem Silbertablett. Sabine Dittmar kann sich vorstellen, apothekerliche Honorare von der Packungsabgabe zu entkoppeln. Im Mittelpunkt stehen Leistungen wie das Medikationsmanagement, Präventionsangebote oder die Beratung generell. AMTS-Projekte, Stichwort ARMIN, spielen eine zentrale Rolle. Sie befinden sich aber noch in der Testphase.