Überraschend war auch, dass lediglich 18,1 Prozent der Patienten, die anfangs mit der schubförmigen Form der MS, einer RRMS, diagnostiziert wurden, eine sekundär progrediente MS (SPMS) entwickelten. Die SPMS wird meist als zweites Krankheitsstadium betrachtet und ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Behinderungen und
Läsionen im Gehirn der Patienten zwischen den Schüben kaum noch zurückbilden. Wiederum zeigen frühere Erfahrungen, dass ohne Behandlung mindestens doppelt so viele im Beobachtungszeitraum zur SPMS konvertieren würden, nämlich zwischen 36 Prozent und 50 Prozent der Patienten. Der Großteil der Patienten hatte anfänglich eine „Plattformtherapie“ erhalten mit Interferon (IFN) beta-1b, IFM beta-1a oder
Glatirameracetat. Diejenigen, bei denen eine deutliche Verschlechterung eingetreten war, hatte man auf eine „Hochpotenztherapie“ umgestellt mit meist neueren Substanzen wie Natalizumab, Rituximab oder auch
Mitoxantron und
Cyclophosphamid. Weitere Präparate wie
Fingolimod,
Dimethylfumarat und Teriflunomid wurden zwar ebenfalls verabreicht. Sie sind aber erst seit wenigen Jahren auf dem Markt, sodass sie bei der Analyse der ersten beiden Studienjahre nicht berücksichtigt wurden.
Langzeitprognose unter Immuntherapie besser
„Obwohl es den Kollegen aus San Francisco gelungen ist, den Krankheitsverlauf abzumildern, erlitten über die Zeit 59 Prozent der Studienteilnehmer eine klinisch signifikante Behinderung. Das illustriert den anhaltenden Bedarf an effektiveren krankheitsmodifizierenden Therapien für die schubförmige MS und generell für effektive Therapien gegen die progrediente MS“, betont Wiendl. Dass eine Immuntherapie spätere Behinderungen reduzieren kann, belegte auch eine multizentrische retrospektive Beobachtung. Hier konnte ebenfalls gezeigt werden, dass die Langzeitprognose unter Immuntherapie besser ist, als man es aus früheren natürlichen Verlaufsstudien oder im direkten Vergleich ohne Therapie erwarten würde. „Beide Untersuchungen leiden allerdings unter der methodischen Einschränkung, dass direkte Vergleichsgruppen aus gleichen Regionen mit gleicher Krankheitsaktivität, aber ohne entsprechende Therapie fehlen“, so Wiendl.
Keine Auswirkungen auf klinische Ergebnisse
Hauser und seine Kollegen nutzten ihre Daten auch, um den Stellenwert bestimmter klinischer und bildgebender Bewertungen für die Prognose der MS zu messen. Überraschenderweise stellten sie dabei fest, dass Patienten, bei denen in den ersten zwei Jahren keine Krankheitsaktivität nachweisbar war (no evidence of disease activity, NEDA), langfristig nicht besser abschnitten als die Gruppe insgesamt. Da der NEDA-Status wesentlich auf jährlichen Aufnahmen mit einem Kernspintomographen (MRI) basiert, würden ihre Studie auch in Frage stellen, dass diese Praxis bei Entscheidungen zur Therapie nützlich ist, schreiben die Wissenschaftler aus San Francisco: „Es ist uns nicht gelungen, irgendwelche nachfolgende Auswirkungen einer frühen MRI-Aktivität auf das klinische Ergebnis zu finden.“