Habt ihr gewusst, dass allein in der Schweiz jährlich zwischen 100 und 300 Patienten an der Grippe sterben, die sie im Krankenhaus von Ärzten oder Pflegepersonal aufgelesen haben? Das müsste nicht sein, denn es wäre möglich, die Mehrzahl der Ansteckungen zu vermeiden, indem das Personal ausreichend geimpft wird.
Leider sind die Impfraten des Gesundheitspersonals seit Jahren so tief, dass sich keine ausreichende Herdenimmunität erreichen lässt. Und das in den Spitälern, wo Ärzte und Pflege mit schon kranken und geschwächten Menschen arbeiten.
Weshalb ist das so?
Einerseits werden Krankheit und Mortalität der Grippe von den Leuten unterschätzt und der Nutzen der Influenzagrippeimpfung angezweifelt. Dazu kommt, dass offenbar die Autonomie des Gesundheitspersonals als wichtiger eingestuft wird als ihre Fürsorgepflicht gegenüber den Patienten. Deshalb gibt es (selbst im Spital) noch keine Impfpflicht. Und eigentlich empfinde ich das, wie auch meine Arztkollegin, die im Krankenhaus arbeitet und einen direkten Einblick in das Geschehen hat, als Verletzung der Sorgfaltspflicht. 100 bis 300 Tote pro Jahr deswegen? In der Schweiz? Im Spital, in das man geht, damit es einem anschließend besser geht? Skandalös.
Ganz offensichtlich funktioniert das mit der Eigenverantwortung nicht. Damit sich hier etwas ändert, müsste wahrscheinlich wirklich erst jemand sterben, die Angehörigen den Zusammenhang erkennen und anschließend das Spital deswegen verklagen.
Daten und Fakten:
Die Influenza ist eine Virusinfektion mit meist hohem Fieber und Krankheitsgefühl. Beim gesunden Erwachsenen führt eine Infektion nur selten zu Komplikationen, das Risiko steigt aber mit zunehmendem Alter rapide an.
Zu den Komplikationen gehören Nasennebenhöhlenentzündungen, Lungenentzündung, Mittelohrentzündung, zusätzliche bakterielle Infektionen, Herzprobleme und Beteiligung von Hirn- und Nervensystem.
Wird man deswegen hospitalisiert, liegt die Letalität bei bis 30 Prozent. Ist man im Spital bereits auf der Intensivstation oder wegen einer Transplantation im Krankenhaus, steigt die Letalität auf bis zu 60 Prozent.
Die Zeitdauer zwischen Ansteckung und Symptomausbruch beträgt ein bis vier Tage, aber ansteckend ist man schon vorher. Das begünstigt die Verbreitung, vor allem im Spital, wo ein Pfleger für eine Vielzahl von Patienten verantwortlich ist. Denn selbst wenn er/sie bei Ausbruch der Beschwerden zu Hause bleibt, ist das zu spät.
Häufig bleibt eine Infektion unbemerkt
Einige machen auch eine Grippeinfektion fast ohne Beschwerden durch – laut einer Untersuchung wurden bei etwa einem Viertel des nicht geimpften Klinikpersonals nach den Wintermonaten Hinweise auf Influenzainfektion im Blut gefunden – bis zu 60 Prozent der Untersuchten erinnerten sich nicht mal an eine Atemwegserkrankung. Dieses Personal hatte also fröhlich weiter täglich direkten Kontakt mit Patienten ... und hat sie angesteckt.
Die Grippeimpfung ist seit 70 Jahren die effektivste Maßnahmen zur Reduktion von Influenzaerkrankungen. Sie schlägt die anderen Maßnahmen wie Händehygiene, korrektes Verhalten beim Schnäuzen und Husten und auch Medikamente wie Tamiflu bei weitem. Beim gesunden, mittelalten Erwachsenen hat sie eine Wirksamkeit von 70 bis 90 Prozent (leider weniger, wenn der Virusstamm nicht richtig „getroffen“ wurde).
Ebenfalls schlechter sieht die Wirksamkeit bei älteren, gebrechlichen Patienten aus, wahrscheinlich wegen der eingeschränkten Immunantwort. Tatsächlich macht es (um diese Personen zu schützen) deshalb mehr Sinn, nicht diese zu impfen, sondern das Umfeld: eben jene gesunden, jüngeren, nicht nur in der Familie, sondern vor allem in Pflegeberufen.
Großer Nutzen der Impfung für Risikopatienten
Bereits bei einer Impfrate von (nur) 45 Prozent des Pflegepersonals können laut einer Studie von Hayward et al. von 2006 innerhalb einer Influenzasaison pro 100 Pflegeheimbewohner fünf Todesfälle, zwei Krankenhauszuweisungen (wegen fieberhaften Atemwegserkrankungen) und sieben Arztkonsultationen verhindert werden. Zur Vermeidung von einem Todesfall müssten acht Mitarbeiter geimpft werden. Zur Verhinderung einer Erkrankung fünf Mitarbeiter, zur Verhütung einer Arztkonsultation sechs und 20, um eine Hospitalisation zu vermeiden. Aber außer dem Nutzen der Impfung für die Patienten kommt es zusätzlich zu einer Abnahme der Arbeitsausfälle des Personals von 42 Prozent.
Trotz dem belegbaren, wirklich guten Nutzen einer Grippeimpfung, sind die Impfraten schlecht. Für Deutschland liegen sie bei etwa 36 Prozent beim Gesundheitspersonal, die Mehrheit der geimpften sind dabei (wie in der Schweiz): Ärzte. Zum Erreichen einer Herdenimmunität und damit effektivem Schutz von Risikopersonen wären Impfquoten von mindestens 50%, idealerweise über 75% notwendig. Wer wissen will, wie „sein“ Spital da aussieht, kann hier nachschauen:
Gründe, die nicht-geimpftes Pflegepersonal dafür oft nennen, sind übrigens dieselben, die Impfgegner angeben und die sind durch die Bank widerlegbar.
Immer Nebenwirkungen als Gegenargument
Das fängt bei den Nebenwirkungen der Impfung an, die aber sehr gering sind: meist milde entzündliche Reaktionen am Injektionsort. Die restlichen beanstandeten Erscheinungen (teils üble Sachen wie Fehlgeburt, Gesichtsnervenlähmung, Sehnervenentzündung) liegen im selben Bereich wie sie in der vergleichbaren ungeimpften Bevölkerungsgruppe auftreten.
Die Wirksamkeit des Impfstoffes wird angezweifelt – dazu lese man einfach den Abschnitt oben noch einmal.
Außerdem heißt es, die Impfung gebe dem Körper keine Möglichkeit einen „natürlichen“ (sprich „guten“) Schutz gegen die Krankheit aufzubauen. Dieser Aussage/Meinung fehlt die wissenschaftliche Grundlage und entspricht einfach nur dem Trend, der sich in der Nachfrage nach Homöopathie und Alternativmedizin widerspiegelt (alles „Künstliche“ ist schlecht). Kommt dieses Argument beim Pflegepersonal vor, könnte das in meinen Augen auf eine suboptimale Ausbildung bezüglich der biologischen Grundlagen und einer fehlenden Einführung in die evidenzbasierte Medizin zurückzuführen sein.
Dabei sind Diskussionen hier oft schwierig, da man als Verfechter von Impfungen dann sehr schnell als Anhänger der bösen Pharmafirmen abgetan wird.
Geimpftes Personal muss auf bestimmten Stationen Pflicht sein
Da besteht also hoher Handlungsbedarf. Als Minimum sollten in besonders kritischen Bereichen wie der Neonatologie (Neugeborenenabteilung), in den Transplantationseinheiten und auf der Intensivstation wirklich nur noch durchgeimpftes Personal arbeiten dürfen.
Für den Rest sollte auch auf der Normalabteilung während der gesamten Influenzasaison das Tragen eines Mundschutzes obligatorisch sein – egal, ob sie sich krank fühlen oder nicht. Dass das mit dem freiwilligen Impfen nicht reicht, zeigt sich eben in den hunderten Toten aufgrund nosokomial (im Krankenhaus) erworbener Infektionen – speziell als Folge der Grippe.
Ich habe mich ebenfalls wieder selber impfen lassen. Denn auch als Apothekerin gehöre ich zum Gesundheitssystem mit einer Vielzahl an Patientenkontakten täglich.
Danke an meine Arzt-Kollegin Dr. B., für ihre Anregung und ihren Artikel auf dessen Grundlage dieser Blogpost entstanden ist. Der Artikel ist nicht als Arzt-/ Pflege- oder gar Spital-Bashing gedacht, aber er ist provokant geschrieben, weil das Thema viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommt!