Gegen Abend meines Dienstes stellt sich eine 20-jährige Frau im Beisein ihres Freundes und ihrer Mutter in der Notaufnahme vor. Wer in der Notaufnahme arbeitet oder gearbeitet hat, kann sich denken, wie es in mir aussah.
Nichts ist nervtötender und so wenig zielführend wie Angehörige in der Notaufnahme. Nicht nur, dass Mütter meinen ihre 25-jährigen Söhne begleiten zu müssen, nein, manchmal tauchen gleich noch die Partner oder am besten mehrere Angehörige unterschiedlichen Verwandtschaftsgrades auf. Dies behindert die Arbeit, kann zu peinlichen Situationen führen und ist in der Anamneseerhebung meist hinderlich, weil im Beisein der Lieben nicht alles erzählt wird.
Wenn es Unklarheiten gibt, sollte jeder Arzt die Angehörige aber auch hinzuziehen, und zwar dann, wenn es der Behandlungserfolg erfordert. Bei einem Schlaganfall mit unklarem Zeitfenster und nicht auskunftsfähigem Patienten ist dies zum Beispiel unerlässlich.
Nach dem Aufwachen zu Boden gegangen
Doch zurück zum Thema. Die Patientin schildert also, dass sie letzte Nacht feiern gewesen sei und wenig geschlafen habe. Nach dem Aufwachen sei sie dann im Bad mehrmals zu Boden gegangen. Ihre Knie haben dabei nachgegeben. Außerdem habe sie mehrmals das Handy fallenlassen. Sie habe sich zunächst nichts dabei gedacht und dies auf den Schlafmangel zurückgeführt und deshalb habe sie sich nochmal hingelegt.
Trotz einer weiteren Mütze voll Schlaf seien die Symptome erneut aufgetreten, berichtet die sie weiter. Sie habe Gegenstände fallenlassen, sie war dabei jedoch stets bei Bewusstsein. und ihr Gesicht habe dabei nicht gezuckt.
Ich untersuchte nun die Patientin und fand kein fokal-neurologisches Defizit, was meine anfängliche Verdachtsdiagnose stützte, auch wenn ich von der doch starken Beteiligung der Beine etwas irritiert war.
Worum geht es hier?
Welche Hinweise liefert uns nun die Anamnese? Die meisten von Ihnen werden schon drauf gekommen sein, nehme ich an.
Dies alles lässt nun die Diagnose einer juvenilen myoklonischen Epilepsie oder auch Janz-Syndrom sehr wahrscheinlich erscheinen. Interessanterweise erzählte die Patientin von Abscencen in der Kinderheit. Dies kann bei einem Teil der Fälle parallel bestehen oder auch vorausgegangen sein.
Oft wird die Erkrankung verkannt. Es kann sogar zur Erheiterung der Betroffenen oder Familienmitglieder führen. Manche Eltern unterstellen den Kindern dann Absicht oder Alberei. Die Gefahr hierbei ist, dass es irgendwann zu einem Aufwach-Grand-Mal kommt. Dann erfolgt erst die Arztkonsultation.
Hier lauert schon die nächste Gefahr. Meist werden diese myoklonischen Episoden nicht selbst berichtet. Wird nun, nach einem zweiten Aufwach-Grand-Mal, Lamotrigin oder Carbamazepin als Antiepileptikum angesetzt, können sich die Anfälle sogar verschlimmern. Wobei die Datenlage zu Lamotrigin etwas kontrovers ist.
Juvenile myoklonische Epilepsie ist gut behandelbar
Die juvenile myoklonische Epilepsie ist relativ häufig und gut behandelbar. Sie trifft zwischen dem sechsten und 26. Lebensjahr auf. Meist kommt es nach dem Aufwachen, auch nach einem Mittagsschlaf, zu symmetrischen Myoklonien der oberen, seltener auch der unteren Extremitäten. Betroffene lassen dann Gegenstände fallen, Stürzen oder Knicken mit den Beinen ein.
Wie erwähnt kann es zu einem Aufwach-Grand-Mal kommen. Provokationsfaktoren sind Schlafmangel sowie Flackerlicht. Abzugrenzen ist dies von den Einschlafmyoklonien, die jeder mal hat.
Im EEG zeigt sich ein Polyspike-wave Muster. Einer weiteren Diagnostik bedarf es bei typischer Anamnese nicht.
Eine langfristige Medikation ist notwendig
Als Antiepileptika stehen unter anderem Valproat (schlecht bei gebärfähigen Frauen, da teratogen), Levetiracetam (steht auch bald zur Monotherapie bereit) zur Verfügung. Ein Absetzen der Medikation ist meist erst nach dem 40. Lebensjahr möglich. Ein früheres Absetzen ist mit der Gefahr des Wiederauftretens der Anfälle und der damit verbundenen negativen Konsequenzen (Fahrverbot etc.) verbunden.
Die Patientin in meinem Fall war natürlich insgesamt nicht froh über die Diagnose, da bei ihr mit 17 Jahren Valproat abgesetzt wurde (worüber sie auch froh war) und ihr nun eine langfristige Medikation bevorstand. Die größte Einschränkung war für sie die fehlende Fahreignung für ein Jahr.