Ich habe nicht wie ursprünglich geplant zwei Monate nach der Geburt weiterstudiert. Da das zweite Semester sowieso schon gescheitert war, sah ich keine Chance alles innerhalb von einem Jahr samt Baby auf die Reihe zu bekommen. Gerade weil das vierte Semester durch den Uniwechsel sehr voll geladen gewesen wäre.
Ich entschied mich dazu, alles so gut wie möglich zu entzerren. Und rückblickend muss ich sagen: Ich hätte es auch gar nicht geschafft, meine Tochter so früh abzugeben. Zwischenzeitlich kam auch die Trennung vom Kindsvater, mit einem erneuten Umzug und der Kitasuche war ich im Wintersemester dann wirklich genügend beschäftigt.
Im Sommersemester 2016 versuchte ich schließlich mein Glück: Tageselternplatz gerade noch so bekommen, mein kleines Krabbelbaby eingewöhnt und los ging es: Kind krank, Tagesmutter krank, Tagesvater krank und wieder von vorne. Im Endeffekt war meine Tochter (meist Känguru genannt) 39 Tage zwischen März und Juli bei den Tageseltern, maximal 5-6 Stunden. Irgendwie habe ich mit Familie, Babysitterin, Uni-Kinderbetreuung und sehr, sehr guten Freunden den Rest der Pflichtveranstaltungen abgedeckt bekommen.
Vielleicht gehe ich doch nicht komplett unter?
Im Vorfeld hatte ich panische Angst, dass ich es nicht schaffe, mit Kind zu studieren und deswegen vorgelernt. Das war meine Rettung. Die ersten Semesterwochen bin ich fast überhaupt nicht zum Lernen gekommen. Ein einziges Wochenende hatte ich für die Embryologie-Klausur, das reichte irgendwie. Im ersten Anlauf bestanden, das erste Erfolgserlebnis. Vielleicht gehe ich doch nicht komplett unter?
Viel Zeit zum Lernen hatte ich generell nicht, da das Känguru meist irgendwann zwischen 22 und 23 Uhr ins Bett gegangen ist (und ich gleich mit). Mein Lernstil hat sich extrem umgestellt: Ich habe mir eigentlich alles nur noch ein- oder zweimal aufmerksam durchgelesen, gemerkt, in der Prüfung wieder hervorgekramt. Mein Gehirn wurde dafür zum Sieb, wenn es um alltägliche Sachen ging: Einkaufszettel musste ich mir immer schreiben, Termine hatte ich ohne Kalender in kürzester Zeit vergessen.
Lernen kann wie Urlaub sein © Mum 'n' Medicine
Manchmal hätte ich gern den Kopf in den Sand gesteckt
Am Semesterende war ich dann wirklich fertig. Zwei Anläufe benötigte ich für das letzte Anatomie-Testat, drei Anläufe für Histologie. Aber: Überlebt. Bestanden. Wirklich alle Prüfungen!
Die Momente, in denen ich meinen Kopf am liebsten in den Sand gesteckt hätte und ihn erst wieder herausgeholt hätte, wenn alles wieder gut war, waren unzählige. Nur leider hätten sich die Prüfungen nicht von selbst geschrieben, genauso wenig wie die Hausarbeiten oder Testate.
Studieren kann auch entlastend sein
Mein Ziel war es immer irgendwie durchzukommen, irgendwie weiterzukommen und wenn es nur in ganz kleinen Schritten ging. In diesem ersten Semester mit Kind habe ich aber auch gelernt, dass mir das Medizinstudium viel bringt. Es ist so ein schöner Ausgleich mal nicht 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche ein kleines Baby zu haben, das beschäftigt werden will. Diese Auszeit ist für mich Luxus geworden.
Und was ich vorher nicht geglaubt habe: Medizin studieren kann wie Urlaub sein.