P53 gehört zu den wichtigsten körpereigenen Waffen gegen Krebs. In den meisten Tumoren ist das Tumorsuppressorgen aber mutiert. Wissenschaftler versuchen schon länger, den „Wächter des Genoms“ zurückzuholen. Auch die Pharmariesen mischen jetzt kräftig mit.
Nicht viele Moleküle schaffen es auf eine Titelseite. p53 zierte 1993 das Cover des renommierten Fachmagazines Science. Das Protein kann die Entstehung von Krebs verhindern. Treten Schäden am Erbgut auf, hält p53 den Zellzyklus an und ruft molekulare Mechaniker zur Reparatur herbei. Ist der Defekt zu schwerwiegend, schickt p53 die Zelle in das zelluläre Altersheim oder geradewegs in den Tod. Seine Fähigkeiten brachten ihm auch den Titel „Wächter des Genoms ein“. Das Protein ist seither so etwas wie der Popstar unter den molekularen Handlangern in unserem Körper. Warum gehört Krebs trotzdem zu den häufigsten Todesursachen? Weil p53 ausgeschaltet werden kann. In vielen Tumoren ist schon das Gen für p53 (TP53) verändert. Viele Mutationen führen dazu, dass sich die Form des späteren Proteins so verändert und es deshalb nicht mehr arbeiten kann. In anderen Krebszellen sind Moleküle aktiv, die das Protein handlungsunfähig machen. MDM2 ist so ein Molekül. Es bindet p53 und sorgt dafür, dass es abgebaut wird.
Den Wächter zurückzuholen, gehört zu den größten Träumen der Krebsforscher. Kaum ein anderes Protein wurde in den vergangenen Jahrzehnten so genau untersucht. Doch trotz aller Anstrengungen hat es noch kein Medikament auf den Markt geschafft. Das könnte sich nun ändern. Viele Wissenschaftler versuchen zurzeit p53 dort zu stärken, wo es noch intakt ist. Wenn sie verhindern, dass Moleküle wie MDM2 zu viel von dem Tumorsuppressor aus dem Verkehr ziehen, könnte noch genug von dem Protein in der Zelle bleiben, um die Tumorzellen auszuschalten. Dass der Ansatz funktioniert weiß man aus Tier- und Zellstudien. Nach vielen Rückschlägen sind nun auch die ersten klinischen Tests unterwegs. Die Pharmariesen Merck, Amgen, Novartis oder Sanofi-Aventis haben Inhibitoren entwickelt, die sie erstmals an Patienten mit soliden Tumoren, Blutkrebs oder multiplen Myelomen testen. Roche untersucht sein Idasanutlin mittlerweile in einer Phase III Studie. Das Unternehmen prüft den Einsatz der Inhibitoren bei AML (akute myeloische Leukämie). Frühe klinische Studien gibt es mit dem Inhibitor außerdem für Prostatakrebs, dem multiplem Myelom oder Lymphomen. Und auch beim Neuroblastom hoffen Wissenschaftler, mit diesem Ansatz Erfolg zu haben. Die bösartigen Tumoren des Nervensystems gehören zu den häufigsten tödlichen Krebserkrankungen bei Kindern. Trotz Therapie überleben noch immer weniger als die Hälfte von ihnen. Über mögliche Nebenwirkungen der Inhibitoren ist bislang nur wenig bekannt. Als Wissenschaftler 2012 einen Blocker bei Tumoren des Fettgewebes testeten, sackte die Anzahl bestimmter Immunzellen (Neutrophile Granulozyten) bei einigen Patienten gefährlich ab. Sollten die neuen Wirkstoffe die Erwartungen der Forscher jedoch erfüllen, werden sie wohl die ersten p53-Medikamente auf dem Markt sein.
Was aber ist mit den Krebsformen, die nicht mehr genügend intaktes p53 haben? Wenn p53 mutiert ist, hilft dieser Ansatz nicht weiter. Eine Handvoll Labore und Arbeitsgruppen setzt daher auf eine zweite Strategie: p53 heilen, wenn es krank ist. Es ist der schwierigere Weg, aber er könnte sich lohnen. Denn ein durch Mutation verändertes p53-Protein verliert nicht nur seine Fähigkeit, defekte Zellen in den Selbstmord zu schicken. Das veränderte Protein kann auch zum Onkogen werden, zum Krebstreiber, der die Invasion der Krebszellen fördert, die Metastasierung oder die ungebremste Vermehrung. Die Lösung wäre, p53 in seine alter Form zurückzuführen, einen Hebel zu finden, der die Verwandlung rückgängig macht. Forscher um Rommie Amaro haben sich vor einigen Jahren auf die Suche begeben und mit der Hilfe von Supercomputern ein dynamisches Modell von p53 nachgeahmt.
In den Simulationen haben sie eine kleine Tasche im Herzen des Proteins gefunden. „Im normalen p53-Protein öffnet sie sich nur für sehr kurze Zeit“, sagt Peter Kaiser, Professor für biologische Chemie on der University of California. In p53-Mutanten jedoch, die man in Tumoren findet, bleibt sie viel länger geöffnet. Moleküle, die in dieser Zeit in der Kluft binden, können die Funktion von p53 wieder herstellen. Von einem Wirkstoff weiß man mittlerweile, dass es genau dort ansetzt. APR-264 stabilisiert das Protein gerade soweit, dass es wieder arbeiten kann. 2012 hat der Wirkstoff es durch die erste Runde der Sicherheitsstudien geschafft. Untersucht wurde er an Patienten mit Blutkrebs. In einer Phase-II Studie testen Wissenschaftler die Therapie gerade an Frauen mit Ovarialkarzinomen. Auch dort spielt mutiertes p53 fast immer eine Rolle.
Auf der Suche nach neuen Wirkstoffen hat die Gruppe um Kaiser und Amaro mittlerweile mehr als zwei Millionen Substanzen mit ihren Computermodellen untersucht. Fast 3.000 Kandidaten haben sie gefunden, die in diese Tasche passen könnten. Der Forscher glaubt, dass etwa zehn bis 15 Prozent dieser Moleküle mutiertes p53-Proteine in Tumorzellen reaktivieren könnten. Die Substanzen müssten p53 soweit stabilisieren, dass es wieder arbeiten könnte. So würden die mutierten Zellen getötet, „nicht aber solche mit normalem p53“, sagt Kaiser. Um die einige aussichtsreiche Wirkstoffe weiter zu untersuchen, haben die Wissenschaftler eine Biotech-Firma gegründet. Das Ergebnis könnte sich auszahlen. Denn einige dieser Moleküle scheinen bei fast allen p53-Mutationen zu funktionieren. Mit einigen wenigen Wirkstoffen, könnte man so gegen p53-Mutationen in den unterschiedlichsten Tumoren vorgehen. Falls die Stabilisierungs-Idee aufgeht, könnten irgendwann sogar Patienten, die nicht an Krebs erkrankt sind, profitieren. Denn auch bei anderen Krankheiten sind es verformte Proteine, die Probleme machen. Alzheimer ist nur eine von ihnen. Zuerst jedoch müssen alle diese Wirkstoffe in vielen weiteren Studien nicht nur ihre Wirksamkeit, sondern auch ihre Sicherheit unter Beweis stellen. Noch weiß man nicht, welche Folgen es hat, einen geschädigten, körpereigenen Mechanismus plötzlich wieder anzuschalten. Ob der Traum der Krebsforscher wahr wird, wird sich daher erst in einigen Jahren zeigen.