Die Leopoldina in Halle an der Saale ist eine 1652 gegründete Wissenschaftsakademie. Sie ist „der freien Wissenschaft zum Wohle der Menschen und der Gestaltung der Zukunft verpflichtet. Mit ihren rund 1.500 Mitgliedern vereint die Leopoldina hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und zahlreichen weiteren Ländern.“ So heißt es offiziell ...
8-Thesenpapier
Doch was sich da die altehrwürdig-versnobt-verstaubte „Leopoldina“ mit einem aktuellen 8-Thesen-Papier und dem monoman-besserwisserischen Titel „Nationale Empfehlungen – Zum Verhältnis von Medizin und Ökonomie im deutschen Gesundheitssystem (2016)“ geleistet hat, ist ebenso dilettantisch wie bildungsfern: „Die Medizin hat die Aufgabe, Krankheiten – soweit möglich – zu heilen, zu lindern und ihnen vorzubeugen. Der Patient muss sich darauf verlassen können, dass Ärzte und das medizinische Fachpersonal nur entsprechend dieser Aufgabe handeln“, heißt es dort.
Leben retten heißt nicht gleich heilen
Auf die Idee, dass Ärzte in Deutschland häufig zunächst ohne Ansehen der Person erstmal Leben retten und sichern müssen, bevor es zu irgendeinem Heilungsansatz kommen kann, darauf sind die selbst ernannten „Gesundheits- und Ökonomie-Experten“ nicht gekommen. Stattdessen „vergisst“ die Leopoldina völlig, dass das ärztliche Motto „Retten, Heilen, Lindern, Schützen“ lauten muss. Vergleichbar mit dem globalen Leitmotiv aller Feuerwehren: „Retten, Löschen, Bergen, Schützen“.
Falsche Arbeitsplatzbeschreibung
Die Leopoldina will uns Ärzten in Klinik und Praxis allen Ernstes eine Arbeitsplatzbeschreibung mit „Krankheiten – soweit möglich – zu heilen, zu lindern und ihnen vorzubeugen“ andienen, mit der die eminent wichtige und klinisch besonders relevante Rettungs-, Notfall- und Intensivmedizin schlichtweg unterschlagen werden.
Populistische Vergleiche
Die Vergleiche sind populistisch gewählt: Man nehme staatliche Einheitskrankenversicherungssysteme mit universeller Datenerfassung und „gläsernen“ Bürgern, deren Schritte in Richtung Gesundheit oder Krankheit gnadenlos erfasst, therapiert, korrigiert und ökonomisiert werden. „Vergleicht man die Gesundheits-Outcomes in Deutschland mit denen in Schweden oder Dänemark – Länder, in denen der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP und die Bevölkerungsstruktur (??) ähnlich sind –, so wird deutlich: Die Qualität der Versorgung und die Efzienzkennzahlen sind in diesen Ländern in Teilen besser.“
Die 8 Thesen
Umdeutung von Krankheit in Gesundheit
Doch diese 8-Thesen führen neben der Negierung von „Krankheiten“ und ihre Umdeutung in „Gesundheiten“ zu nichts anderem, als dem Primat der Ökonomie über die Medizin. Medizin und Heilkunde als ärztliche Professionen verkommen zu seelenlos-reinen Reparatur-, Gesundheits- und Anpassungsdienstleistungen bzw. sollen das Wesen der Krankheiten nicht mehr reflektieren und ausloten.
Medizin als durchökonomisierte Administration?
Die „Autoren der Thesen“ sind ebenso überwiegend klinikfern wie administrationsaffin: „Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin Stiftung Charité, Sprecher der WK Gesundheit, Lehrstuhl für Öfentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie, Ruhr-Universität Bochum, Medical-Valley, Erlangen-Nürnberg, Klinik für Infektologie und Pneumologie, Charité Universitätsmedizin Berlin, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Medizinische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen“.
Mein Gegenvorschlag:
Jeder Autor der Leopoldina-Thesen verpflichtet sich dazu, mindestens 25 Folgen von „Emergency Room“ (ER) des US-amerikanischen Schriftstellers und Arztes Michael Crichton mit Dr. Douglas „Doug“ Ross (George Clooney) und Anthony Edwards als Dr. Mark Greene anzuschauen, oder die 3 Bücher „Mount Misery“, „The House of God“ und „Doctor Fine“ von Samuel Shem zu exzerpieren.
Aber bei der Leopoldina herrscht wohl nach wie vor das Motto: „Unter den Talaren, Muff von 1.000 Jahren“?
Bildquelle (Außenseite): Duncan Hull, flickr