Niveaulos: Literaturkritiker plaudern über „Irrenanstalten“.
„Das literarische Quartett“ hatte ich mir seit dem Ausscheiden von Marcel Reich-Ranicki nicht mehr angeschaut. Das ZDF hat diese Sendung, in der drei Literaturkritiker und ein Gast vier aktuelle Romane besprechen, vor einem Jahr wieder aufleben lassen. Gestern, am 14.10.2016, war ich neugierig und habe eingeschaltet.
Die Sendung lebt offensichtlich vom heftigen Schlagabtausch der Kritiker, die sehr kontrovers über die aktuellen Bücher diskutieren. Das ist durchaus unterhaltsam und macht Lust, in die besprochenen Werke einmal hineinzuschauen.
Warum ist das ein Thema für die Schräglage?
Zwei der Bücher handeln von psychischen Störungen. Thomas Melle beschreibt in „Die Welt im Rücken“ seine bipolar affektive Störung, bei John Burnside geht es in „Wie alle anderen“ um Drogenerfahrungen. Die Protagonisten beider Bücher erzählen auch von Erlebnissen während der stationär psychiatrischen Behandlung.
Jetzt möchte man meinen, dass gebildete Leute bei einer Diskussion im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sich auch einer geeigneten Ausdrucksweise bedienen. Leider weit gefehlt. Kein einziges Mal war von „psychiatrischer Klinik“ oder „Psychiatrie“ die Rede, dagegen um so häufiger von „Irrenanstalt“ oder „Klapse“.
Ich habe keine Strichliste geführt (und will mir die Sendung auch deswegen nicht noch mal ansehen und nachzählen), glaube aber, mich an drei „Irrenanstalten“ und eine „Klpase“ zu erinnern. Dazwischen war wie vor diesem Zusammenhang nicht anders zu erwarten, auch „irre“ als Adjektiv und „Freak(s)“ für die handelnden Personen zu vernehmen.
Wie kommt es zu so etwas?
Sind manche Literaturkritiker hinter ihrer intellektuellen Fassade doch nur Prolls? Ist es ein Zeichen besonderer Coolness, sich bewusst jede political correctness zu verkneifen? Findet „Literatur“ außerhalb des normalen Lebens statt?
Ich weiß es nicht. Was die vier Teilnehmer des „Literarischen Quartetts“ gestern von sich gegeben haben, war eine Beleidigung. Durch den Gebrauch der oben zitierten Vokabeln schieben sie psychische Kranke in einen Bereich, der längst überwunden sein sollte. „Irrenanstalten“ gibt es nicht mehr. Und das Wort „Klapse“ ist unterste Schublade.
Traurig für eine so traditionsreiche Sendung wie „das literarische Quartett“.
Peter Teuschel
Hier ein paar Presseberichte zu der Sendung, die „Irrenanstalten" haben dabei aber niemanden gestört:
Bildquelle (Außenseite): Boston Public Library, flickr