Der EuGH hat die Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente aufgehoben – jetzt sind wir alle dem kalten Wettbewerb ausgesetzt. Aber es gibt Hoffnung: Günther Hanke, Präsident der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, will sich schützend vor uns stellen. Würdigung eines Scheinheiligen.
„Patienten sollten sich darauf verlassen können, dass verordnete, dringend benötigte Arzneimittel in allen Apotheken zum gleichen Preis erhältlich sind. Einem Patienten, der sein Arzneimittel dringend benötigt, ist es nicht zuzumuten, Preise zu vergleichen und eine preisgünstige Apotheke zu suchen. Davor schützt ihn die deutsche Arzneimittelpreisverordnung.“
Diese salbungsvollen Worte lässt Günther Hanke in der heutigen Pressemitteilung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg verbreiten. Was der neue Schutzpatron der Rezeptempfänger verschweigt: Die deutsche Arzneimittelpreisverordnung „schützt“ den Patienten in erster Linie davor, günstigere Medikamente überhaupt zu finden, da die Preise für verschreibungspflichtige Präparate in Deutschland gesetzlich zementiert sind. Ein Relikt aus der Vergangenheit, das für OTC-Medikamente längst aufgehoben ist und durch zähes Lobbying der Apothekenverbände am Leben erhalten wird. Und es führt im Land der ALDIs und LIDLs zu einem erstaunlichen Kuriosum: Derzeit sind für den Patienten alle Rx-Medikamente nicht gleich billig, sondern gleich teuer. Nach der von Hanke zitierten "preisgünstigen Apotheke" kann der Kunde verdammt lange suchen.
Preisvergleich und Wettbewerb wären da in der Tat eine feine Sache. Aber das geht nicht, denn die Medikamente werden ja – das erwähnt der Verbandschef zur Sicherheit gleich zweimal – „dringend benötigt“. Ich bin auch häufiger mal in der Apotheke. Möglicherweise aber nicht häufig genug. Denn dort scheinen sich nach Ansicht der Landesapothekerkammer chronisch Kranke erst auf den letzten Drücker an den Counter zu schleppen, um von der PTA ihre lebensrettenden Tabletten zu erhalten. Für diese akut vom Tode bedrohten Last-Minute-Drug-Shopper ist der Preisvergleich in der Tat eine Zumutung. Für die restlichen 99,9 Prozent der Apothekenkunden, die auch gerne mal im Internet auf Medizinfuchs & Co. Preise recherchieren, hingegen nicht.
Das führt uns zu der Frage, vor welche Patienten sich Günther Hanke eigentlich schützend stellen will? Denn die Mitglieder der Deutschen Parkinson Vereinigung, die die Klage beim EuGH angestrengt haben, pfeifen augenscheinlich auf sein Sankt-Martin-Angebot. Das wundert nicht. Rabatte und Boni sind für Patienten mit ständigem Medikamentenbedarf und schmalem Geldbeutel eine feine Sache. Zur Erinnerung: Auch die Apotheker haben in der Vergangenheit gerne Industrierabatte entgegen genommen, bevor der Gesetzgeber sie abgeschöpft hat.
Dieser guten, alten Zeit scheint der Kammerpräsident stark verpflichtet zu sein. Fackeln und Laternen dürfen wir im Internet bestellen, um mit ihm gemeinsam das Brauchtum zu pflegen, Medikamente aber nicht: „Nun ist der Gesetzgeber gefragt. Ich fordere schon lange ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln“, denn, so Hanke weiter: „Die Apotheken in Deutschland sind nun einem unfairen Wettbewerb mit ausländischen Versandapotheken ausgesetzt“.
So ein hermetisch abgerundetes, auf Konservierung bedachtes Weltbild findet man normalerweise nur in Naturreligionen. Es wird spannend zu beobachten, wie deutsche Versandapotheken auf das EuGH-Urteil reagieren. Die soll es - ebenso wie marktwirtschaftlich ausgerichtete Apotheker - gerüchteweise auch geben. Eins ist jetzt schon sicher: An Hankes warmem Mäntelchen, von dem er nur ungern ein Stück abgeben will, wird jetzt kräftig gezogen. Es würde aber auch niemanden wundern, geschweige denn aufregen, wenn die ruhelosen Gesetzesklempner im Bundesgesundheitsministerium das kleine Stückchen Marktwirtschaft ganz schnell wieder kassieren. Denn so funktioniert das deutsche Gesundheitswesen: Am Ende des Tages sind wir alle ein bisschen bigott.