Nervös knetet Madame B., 39 Jahre alt, ein Taschentuch in ihren Händen. Unruhig wippt sie auf ihrem Stuhl hin und her. Als der Arzt das gefürchtete Wort in den Mund nimmt und sie direkt auf ihren Vaginismus* anspricht, bricht es aus ihr heraus, die angesammelte Anspannung und die Furcht vor dem Arztbesuch münden in einen kurzen Tränenausbruch.
Docteur Bassar bleibt ruhig. Madame B. ist sehr darum bemüht sich wieder zu fassen und erklärt, mit fester Stimme aber dem gelegentlichen Schluchtzer: sehr strenge Erziehung, Religion spielt auch eine Rolle, aufgewachsen ist sie in Algerien. Immer ein großes Tabuthema das Ganze. Mit 34 Jahren ist sie als Jungfrau in die Ehe gegangen, drei Jahre hat sie gebraucht, bis sie Verkehr mit ihren Mann zulassen konnte. Und dann mit dem erklärten Ziel, Kinder zu zeugen. Das hat geklappt, vor drei Jahren hat sie ihren Sohn per Kaiserschnitt entbunden.
Nun ist sie erneut schwanger, heute zur regulären Vorsorgeuntersuchung erschienen. Und wünscht sich einen Kaiserschnitt, vor einer normalen Geburt hat sie höllische Angst. Docteur Bassars Aufgabe ist es, zu klären, ob nicht doch eine normale Geburt möglich ist. Dafür wäre allerdings eine intensive Vorbereitung seit Beginn der Schwangerschaft notwendig gewesen, so dass für Madame B – mittlerweile in der 35. Schwangerschaftswoche – nun wahrscheinlich wirklich nur der Kaiserschnitt in Frage kommt.
Die schöne Arzt-Patient-Beziehung
Die nächste Patientin überrascht mich mit ein paar Sätzen auf einwandfreiem Deutsch. Auch sie ist aus Algerien; erzählt, dass sie Sprachen immer sehr interessiert haben und ihr Bruder, ein Physiker, gerade für seine Forschungsarbeit in Deutschland ist. Sie würde sich freuen, wenn er dort bleiben würde, dann könnte sie ihn besuchen. Aber vorerst hat sie noch andere Projekte: 34 Jahre alt, erwartet sie gespannt und voller Vorfreude ihr erstes Kind.
Danach ist Madame D. an der Reihe, samt Ehemann und Mutter. Sie hat einen Hemiuterus, eine in zwei Hälften unterteilte Gebärmutter. Eine Schwangerschaft, sofern sie denn überhaupt möglich ist, ist grundsätzlich riskant. Daher ist die Freude über die bisher problemlos verlaufenen 32 Wochen doppelt groß. So langsam ist die Familie über den Berg und das Kind wäre gut gereift, selbst wenn es bald keinen Platz mehr im Bauch seiner Mutter finden sollte. Docteur Bassar erfüllt Madame D. gern ihren Wunsch nach einem Ultraschall und ein paar „Kinderbildern“. Denn die zukünftige Oma hat heute Geburtstag...
Nach den ersten zwei Tagen in der Gynäkologie bin ich äußerst positiv gestimmt. Das ist sie also, die intime und schöne Arzt-Patient-Beziehung, die man in kaum einem anderen Fachbereich findet und von der ich schon einige Studenten habe erzählen und schwärmen hören. Nun verstehe ich, was sie meinen.
*Vaginismus = Scheidenkrampf. Macht eine Penetration (selbst wenn es nur eine ärztliche Untersuchung ist) fast unmöglich. Kann anatomischer Ursache sein, aber meist psychogen. Zum Blog geht es hier.