Paleo- oder LowCarb-Diäten, bei denen die Aufnahme von Kohlenhydraten drastisch reduziert wird, sind im Trend. Nun liefern jedoch aktuelle Studienergebnisse Indizien dafür, dass eine vollkommen gegenteilige Ernährung der Schlüssel zu einem langen und gesunden Leben ist.
Paleo und LowCarb sind seit einigen Jahren ein hippes Gesprächsthema und eine extravagante Art sich zu ernähren. Viele Menschen schwören auf diese Diätform und halten die Steinzeiternährung, mit hohem Fleischkonsum und viel Rohkost, für besonders gesund. Ein kompletter Verzicht auf Getreide und Hülsenfrüchte soll eine artgerechte Ernährung bieten, wie sie bereits die Menschen in der Steinzeit zu sich genommen haben, bevor die Ära des Ackerbaus begann.
Ein verjüngend wirkendes Protein wird jedoch nach neuesten Studienergebnissen nur bei komplett gegenteiliger Ernährung mit verstärkter Kohlenhydrataufnahme und reduzierter Proteinaufnahme in größeren Mengen produziert. Dem sogenannten „Jungbrunnen-Protein“, Fibroblast Growth Factor 21 (FGF21), wurden bereits 2015 anhand von Studienergebnissen der Yale University lebensverlängernde Fähigkeiten zugesprochen. So soll das Hormon beispielsweise eine wichtige Funktion beim Metabolismus von Glucose und Lipiden spielen. Es wird hierzu unter anderem in der Leber produziert und induziert in bestimmten Situationen die Verbrennung von Fetten, um den Blutzuckerspiegel konstant zu halten. Zudem soll FGF21 die Degeneration des Immunsystems im Alter verhindern und so die Lebenspanne verlängern. Tatsächlich konnten Forscher in der damaligen Studie nachweisen, dass FGF21 in der Lage war, die Lebensdauer von Mäusen um bis zu 40 % zu verlängern. In der aktuell erschienenen Studie ist es nun Forschern der University of Sydney gelungen, einen Zusammenhang zwischen Ernährung und FGF21 nachzuweisen. Sie untersuchten an Mäusen die Auswirkungen von 25 unterschiedlichen Diäten auf den FGF21-Spiegel im Körper. Und ihre Ergebnisse zeigen einen deutlich erhöhten FGF21-Spiegel bei proteinreduzierten Diäten. Der Maximalwert an FGF21 konnte schließlich mit einer Diätform erreicht werden, in welcher eine verringerte Proteinaufnahme mit gesteigerter Kohlenhydratzufuhr gekoppelt vorlag. Diäten mit verstärkter Proteinaufnahme und reduzierter Kohlenhydratzufuhr wie Paleo oder LowCarb sind demzufolge nicht geeignet, einen hohen FGF21-Spiegel zu induzieren.
Neben Fett und Eiweiß gehören Kohlenhydrate eigentlich zu den Hauptbestandteilen unserer Ernährung. Der Körper nutzt sie unter anderem zur kurzfristigen Energiegewinnung und wandelt sie bei Bedarf in Speicherfett für schlechte Zeiten um. Laut Empfehlung der deutschen Gesellschaft für Ernährung sollte bei einer vollwertigen Ernährung mehr als 50% der Energiezufuhr in Form von Kohlenhydraten aufgenommen werden. Doch immer mehr Menschen verzichten bewusst auf diesen Ernährungsbestandteil und halten Kohlenhydrate für ungesund. In einem Interview bezieht der Ernährungspsychologie Prof. Christoph Klotter von der Hochschule Fulda dazu Stellung: „In der heutigen Gesellschaft geraten ständig Nahrungsmittel in Verruf. Kohlenhydrate sind dafür lediglich ein Beispiel. Es wurden unter anderem auch gesättigte Fettsäuren jahrelang als ungesund dargestellt und heute sieht es so aus, als müsste man diese Theorie noch einmal völlig neu diskutieren. Kohlenhydrate sind natürlich wegen der enthaltenen Zucker ebenfalls schon immer ein Gesundheitsthema gewesen. Und natürlich kann die verstärkte Aufnahme von Zuckern unter Umständen ein Gesundheitsrisiko darstellen, aber Kohlenhydrate im Allgemeinen sind als Nahrungsmittel wissenschaftlich nicht angreifbar.“
Besonders bei Paleo oder LowCarb-Diäten wird statt Kohlenhydraten über Fleisch, Fisch oder Milchprodukte eine große Menge an Fett und Eiweiß aufgenommen. Beträgt die empfohlene Tagesdosis an Proteinen bei einem Erwachsenen eigentlich nur 0,8 g pro Kilogramm Körpergewicht, wird bei derartigen Diäten häufig das Vier- bis Fünffache dieser Menge am Tag konsumiert. Auch für Fette empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung lediglich einen Anteil von 30% der täglichen Energiezufuhr. Dieser Wert wird bei kohlenhydratreduzierten Diäten ebenfalls häufig überschritten und von einigen Ernährungsexperten kritisch betrachtet. So wird unter anderem ein angeblich erhöhtes Risiko für Arteriosklerose in Zusammenhang mit der erhöhten Fettzufuhr diskutiert und auch die verstärkte Proteinaufnahme steht in Bezug auf Gicht, sowie Leber,- oder Nierenerkrankungen oft in der Kritik.
Unabhängig davon, ob Paleo,- und Co-Verfechter nun wirklich jünger sterben, stellt sich die Frage, woher dieser Trend zu Diäten und neuen Ernährungsweisen eigentlich stammt und warum so viele Menschen sich von ihm mitreißen lassen. War eine Diät früher noch eine Maßnahme zum Abnehmen, ist sie heute bereits eine eigene Lebensphilosophie. Das erklärt wohl auch den Hype und die Begeisterung für Radikaldiäten wie Paleo. Plötzlich kann man leben wie Fred Feuerstein oder Barney Geröllheimer. Echte Steinzeitmänner essen echtes Fleisch. Kein Wunder, dass Paleo ein Phänomen ist, das besonders Männer anspricht. Hier kann man sich noch als Alpha-Männchen profilieren, über ein großes Steak und „echte männliche Ernährung“. So ist das Thema Ernährung heute offenbar nicht nur eine Frage der Gesundheit, des Geschmacks oder des Wohlbefindens, sondern auch der Definition, die man von sich selbst hat und was man nach Außen darstellen möchte. „Wir leben heutzutage im Luxus. In den Supermärkten gibt es eine unfassbare Vielfalt an Lebensmitteln und die Menschen können frei wählen, für welches Essen sie sich entscheiden. Über Ernährung kann heute eine eigene Identität geschaffen werden. Über die Art zu essen kann man sich von der Masse abheben; einzigartig sein,“ sagt der Ernährungspsychologie Klotter.
Tatsächlich scheint es heute so viele Diätformen zu geben wie niemals zuvor. Neben Paleo, LowCarb und Atkins-Diät erfreuen sich auch LowFat-Diäten, diverse Crashdiäten oder die Glyx-Diät immer größerer Beliebtheit. Die Fülle an Ernährungsarten ist unerschöpflich. „Die Menschen können es sich leisten über ihre Ernährung nachzudenken und tun das auch verstärkt. Der Umgang mit Essen wird bewusster und bezieht sich immer stärker auch auf den eigenen Lebensstil,“ erklärt Klotter. Letztendlich sind jedoch alle Ernährungsempfehlungen nur ein Leitfaden und es stellt sich die Frage, wie sehr der Einzelne seine Ernährung nach diesem Leitfaden ausrichtet. „Meiner Meinung nach kann heutzutage ohnehin keine allgemeine Ernährungsempfehlung mehr ausgesprochen werden. Jeder Organismus verstoffwechselt Nahrung unterschiedlich und wenn sich jemand mit der Paleo-Diät wohl fühlt und es ihm damit gut geht, sehe ich keinen Grund, der dagegen spricht“, sagt Klotter.