Es ist Samstagabend, 20 Minuten vor 18 Uhr und in die Apotheke kommt ein junger Mann, die Hand am iPhone und die Kopfhörer fest in den Ohren gestöpselt. Er reicht mir ein Rezept. 3 Medikamente sind drauf: Schmerzmittel, Antiepileptikum, Beruhigungsmittel. Es ist ein Dauerrezept über 3 Monate.
Ich hole die Sachen (wir haben alles da), gebe den Namen des Patienten im Computer ein, wobei ich feststelle, dass das vor mir nicht der Patient ist – der ist älter laut dem Geburtsdatum. Der Patient war aber tatsächlich schon bei uns … das vorvorletzte Mal wegen eines Unfalls vor etwa 3 Jahren und die letzten beiden Male hat er die Rezepte bezahlt. Einen Kommentar habe ich auch schon drin … das letzte Mal war er recht unwillig, die Medikamente auch zu nehmen – das fand ich aber noch wichtig, denn Antiepileptika nimmt man nicht zum Vergnügen, sondern wenn es nötig ist, weshalb ich das mit ihm diskutiert – und anschließend festgehalten habe.
Jedenfalls: Er hat keine Krankenkasse angegeben … und ob das noch die Unfallkasse übernimmt, ist alles andere als klar. Deshalb fuchtle ich vor dem Teenager, bis der auf mich aufmerksam wird und sich ausstöpselt.
„Haben Sie mir die aktuelle Krankenkassenkarte dabei?“
Mann: „Nein, weshalb?“
Pharmama: „Weil ich die brauche, wenn ich das der Krankenkasse verrechnen soll, ansonsten müssen sie es bezahlen.“
Mann: „Oh, ich soll das nur bringen.“
Pharmama: „Ja, und das können Sie auch – mit Karte oder nachdem es bezahlt wurde.“
Mann: „Ich gehe die Karte holen. Wir wohnen ganz in der Nähe.“
Das stimmt – die Adresse ist nur einen halben Block weiter.
Pharmama: „Beeilen Sie sich, wir schließen um 18 Uhr – jetzt ist Viertel vor.“
Mann: „Das schaffe ich.“ – Und weg ist er.
Um Zeit zu sparen, gebe ich die Medikamente ein, schreibe sie an und lege alles parat.
Inzwischen macht Urs (mit dem ich Abendschicht habe) die Apotheke schliessfertig. Die andere Kasse nach hinten, die Computer runterfahren, Schütten und Aufsteller reinräumen … Alles, nur meinen Computer und Kasse nicht – die lasse ich drin in Erwartung des jungen Mannes.
18 Uhr und ich sage Urs, dass er gehen kann – ich warte noch 10 Minuten, dann gehe ich auch, wenn er bis dann nicht hier ist.
Er kommt nicht mehr. Ich hoffe einfach, dass er nicht mehr gekommmen ist, weil er noch Medikamente zu Hause hatte und nicht, weil er es aus irgendeinem Grund nicht mehr geschafft hat.
Als ich endlich die Apotheke verlasse – habe ich auch genug für heute, nur dass noch nicht ganz fertig ist. Es ist das Ende meiner 10-Stunden-Schicht, in der ich gerade mal eine Mittagspause von 30 Minuten hatte. Die Pause (wie üblich in der Apotheke), unterbrochen von einigen Rezepten, die angeschaut werden mussten. Den ganzen Tag hochkonzentriert arbeiten ist anstrengend genug … und dann hatte ich heute einige Telefonanrufen aus privaten Gründen, was sehr ungewöhnlich ist. Eigentlich war ja alles organisiert. Junior wurde am Morgen von meinem Kuschelbär zum Sport gebracht, dort wurde er eine Stunde später von Oma und Opa abgeholt. Die haben ihn nach dem Mittagessen zum Geburtstagsfest eines Freundes gebracht, wo ihn dann Kuschelbär wieder abholen sollte, wenn er fertig gearbeitet hat.
Das ist eines der Probleme, die man als im Gesundheitssystem Tätiger hat: erstens Samstagsarbeit (gut, das hat mein Mann als Selbständiger auch) und zweitens habe ich auch unter der Woche keine Möglichkeit, den Junior vor Arbeitsanfang zum Beispiel ins Tagesheim zu bringen, da die zu spät dafür anfangen. Oder abzuholen, da sie dafür zu früh zumachen. Eines von beiden geht, wenn ich nicht den ganzen Tag arbeite, aber beides ist unmöglich. Wenn er Schule hat, müsste ich ihn auch einiges vorher aus dem Haus schicken, da ich früher anfange zu arbeiten, als er zur Schule muss. Und Samstags hat hier kein Tagesheim offen. Zum Glück habe ich Kuschelbär und liebe Verwandte, die helfen.
Heute kam noch dazu, dass ich um 4 Uhr von meinem Kuschelbär einen kurzen aber leicht verzweifelten Anruf bekomme: sein Geschäft wird gerade überschwemmt. Er ist dabei, zu retten, was er kann, aber so kommt er natürlich nicht dazu, Junior abzuholen. Also organisiere ich neben dem Arbeiten auch noch, dass Junior etwas länger beim Geburtstagskind bleiben kann und fahre jetzt nach der Arbeit dort vorbei, um ihn mitzunehmen.
Dabei bekomme ich eine WhatsApp von Urs: Anscheinend hat er den Kunden noch gesehen, wie er gemütlich im Quartier herumlief …
Man weiß ja nie, was hintendran noch alles läuft. Aber: das gilt für beide Seiten.